Tech n i k
Beeren des Kreuzdorns; das Saftgrün (Succus viridis) diente Meister Simon «pour re-
colorir un grant esprevier vert tout tachie de pluies et eaues" (35).
Absatz 52 gibt die Normen für die allgemeine Durchführung des Affsettens „Que
les ouvriers appoincteurs, ou donnant lustre ä la tapisserie, pouront en appoinctant
icelle user de blanche croye, terre rouge et noire: pour ayder et appoincter visages
et membres nudz; ensemble de semblables couleurs ouvrez au fond de la tapisserie.
Pourveu que lesdicts croye noire, ou rouge terre, ilz n'en facent couleur fresque,
ains l'usent secques: et qu'ilz ne fachent chose quy ne soit faicte et ouvree au fond et
camp de ladicte tapisserie." Der Affsetter durfte nach Belieben trockne Kreiden ver-
wenden, die Vorbedingung war in jedem Falle, daß die zu behandelnden Flächen
bereits völlig in der Bildwirkertechnik gelöst waren. Der technische Ausdruck «donner
lustre" bezeichnet lediglich ein Aufhellen bereits vorhandener gewirkter Farben. Die
ehrlich betriebene Kunst des Affsettens strebt nicht nach neuen Tönen, sie will nicht
ergänzen und fälschen, sondern lediglich dem zum Verkauf gestellten Teppich ein leb-
hafteres Gepräge verleihen; sie sucht den Kunden — der in der Regel über den Vor-
gang unterrichtet ist — mit erlaubten Mitteln anzulocken, ihm die Farbenpracht des
Behanges faszinierend vor Augen zu führen. Die Freude an lebhafter Farbengebung
ist für das 16., zum guten Teil auch noch für das 17. und 18. Jahrhundert charakteristisch.
Die Annahme, daß die Wirker mit dem Verbleichungsprozeß rechneten und deshalb
die Töne kräftiger wählten, entbehrt der tatsächlichen Begründung. Die Kaufverhand-
lungen beweisen das Gegenteil. Es wirkt beim Erwerb gebrauchter Serien durchaus
nicht fördernd auf den Preis, wenn die Teppiche bereits ein gewisses „cachee", wie
der heutige Händlerausdruck lautet, gewonnen haben, d.h. wenn die Farben gedämpfter,
nach unserem Empfinden harmonischer geworden sind.
Das Affsetten wurde für den Wirker bisweilen zur Notwendigkeit, wenn an ein-
zelnen Stellen des Behanges ohne sein Verschulden scharfe Ungleichheiten in der Farben-
gebung entstanden waren, wenn der Färber ihn im Stiche gelassen hatte und die Töne
gleicher Wertung nicht zueinander stimmen wollten. Der Affsetter trat dann aus-
gleichend und vermittelnd in Tätigkeit. War das Lustrieren durchgeführt und hatte
die Nachprüfung durch die Kontrollorgane der Zunft stattgefunden, so war ein weiteres
Bearbeiten der Behänge weder dem Meister noch dem den Verkauf vermittelnden
Händler oder Makler gestattet. Erst ernstliche Beschädigungen durch Mottenfraß, Nässe
und dergleichen mehr ermöglichten die Wiederaufnahme des Affsettens. Das gleiche gilt,
wenn es sich um eine Änderung des Teppichs, etwa um das Einfügen neuer Hoheitszeichen
oder die Verlängerung des Behanges handelt (Abs. 57). Alphonse Wauters erwähnt
in seinen «Tapisseries bruxelloises" einen schützenden Überzug, eine Art Lack, den der
Affsetter nach Fertigstellung den Wandteppichen zu teil werden ließ (36). Inwieweit
diese Annahme zutrifft, lasse ich dahingestellt sein; Tatsache ist jedenfalls, daß die alten
Wirkereien einen gewissen Schutz gegen Mottenfraß erhalten zu haben scheinen. In
mehr wie einem Falle konnte ich die Beobachtung machen, daß bei instand gesetzten
Wandteppichen die Motten zunächst die neu eingebrachten Stellen in Angriff nahmen,
das alte Gewebe — auch wenn das beliebte Rot in großen Flächen erschien — da-
gegen verschonten.
Die Entlohnung der Affsetter erfolgte entsprechend der Schwierigkeit der Arbeit.
Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts betrug der Satz bei einfacheren Bild Wirkereien,
dem „leperolwerck", für die Quadratelle zwei Stuyvers, bei Teppichen mit Seiden-
einschlag, dem wgraet" oder „zydewerck", deren drei. Minderwertige und billige Wirk-
teppiche sollten des Vorteils des Affsettens nicht teilhaftig werden. Es war streng ver-
boten, das Verfahren in einer fremden Stadt, die mit weiterem Gewissen die kaiserlichen
Vorschriften handhabte — gedacht ist in erster Linie an Antwerpen, das von jeher
der Verordnung von 1544 den schärfsten Widerstand entgegensetzte — vornehmen
zu lassen.
Der Vorgang des Affsettens wird des öfteren in zeitgenössischen Rechnungsbelegen
erwähnt. Zwei Beispiele aus dem 16. Jahrhundert dürften genügen: Jehan Duquesne
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Beeren des Kreuzdorns; das Saftgrün (Succus viridis) diente Meister Simon «pour re-
colorir un grant esprevier vert tout tachie de pluies et eaues" (35).
Absatz 52 gibt die Normen für die allgemeine Durchführung des Affsettens „Que
les ouvriers appoincteurs, ou donnant lustre ä la tapisserie, pouront en appoinctant
icelle user de blanche croye, terre rouge et noire: pour ayder et appoincter visages
et membres nudz; ensemble de semblables couleurs ouvrez au fond de la tapisserie.
Pourveu que lesdicts croye noire, ou rouge terre, ilz n'en facent couleur fresque,
ains l'usent secques: et qu'ilz ne fachent chose quy ne soit faicte et ouvree au fond et
camp de ladicte tapisserie." Der Affsetter durfte nach Belieben trockne Kreiden ver-
wenden, die Vorbedingung war in jedem Falle, daß die zu behandelnden Flächen
bereits völlig in der Bildwirkertechnik gelöst waren. Der technische Ausdruck «donner
lustre" bezeichnet lediglich ein Aufhellen bereits vorhandener gewirkter Farben. Die
ehrlich betriebene Kunst des Affsettens strebt nicht nach neuen Tönen, sie will nicht
ergänzen und fälschen, sondern lediglich dem zum Verkauf gestellten Teppich ein leb-
hafteres Gepräge verleihen; sie sucht den Kunden — der in der Regel über den Vor-
gang unterrichtet ist — mit erlaubten Mitteln anzulocken, ihm die Farbenpracht des
Behanges faszinierend vor Augen zu führen. Die Freude an lebhafter Farbengebung
ist für das 16., zum guten Teil auch noch für das 17. und 18. Jahrhundert charakteristisch.
Die Annahme, daß die Wirker mit dem Verbleichungsprozeß rechneten und deshalb
die Töne kräftiger wählten, entbehrt der tatsächlichen Begründung. Die Kaufverhand-
lungen beweisen das Gegenteil. Es wirkt beim Erwerb gebrauchter Serien durchaus
nicht fördernd auf den Preis, wenn die Teppiche bereits ein gewisses „cachee", wie
der heutige Händlerausdruck lautet, gewonnen haben, d.h. wenn die Farben gedämpfter,
nach unserem Empfinden harmonischer geworden sind.
Das Affsetten wurde für den Wirker bisweilen zur Notwendigkeit, wenn an ein-
zelnen Stellen des Behanges ohne sein Verschulden scharfe Ungleichheiten in der Farben-
gebung entstanden waren, wenn der Färber ihn im Stiche gelassen hatte und die Töne
gleicher Wertung nicht zueinander stimmen wollten. Der Affsetter trat dann aus-
gleichend und vermittelnd in Tätigkeit. War das Lustrieren durchgeführt und hatte
die Nachprüfung durch die Kontrollorgane der Zunft stattgefunden, so war ein weiteres
Bearbeiten der Behänge weder dem Meister noch dem den Verkauf vermittelnden
Händler oder Makler gestattet. Erst ernstliche Beschädigungen durch Mottenfraß, Nässe
und dergleichen mehr ermöglichten die Wiederaufnahme des Affsettens. Das gleiche gilt,
wenn es sich um eine Änderung des Teppichs, etwa um das Einfügen neuer Hoheitszeichen
oder die Verlängerung des Behanges handelt (Abs. 57). Alphonse Wauters erwähnt
in seinen «Tapisseries bruxelloises" einen schützenden Überzug, eine Art Lack, den der
Affsetter nach Fertigstellung den Wandteppichen zu teil werden ließ (36). Inwieweit
diese Annahme zutrifft, lasse ich dahingestellt sein; Tatsache ist jedenfalls, daß die alten
Wirkereien einen gewissen Schutz gegen Mottenfraß erhalten zu haben scheinen. In
mehr wie einem Falle konnte ich die Beobachtung machen, daß bei instand gesetzten
Wandteppichen die Motten zunächst die neu eingebrachten Stellen in Angriff nahmen,
das alte Gewebe — auch wenn das beliebte Rot in großen Flächen erschien — da-
gegen verschonten.
Die Entlohnung der Affsetter erfolgte entsprechend der Schwierigkeit der Arbeit.
Im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts betrug der Satz bei einfacheren Bild Wirkereien,
dem „leperolwerck", für die Quadratelle zwei Stuyvers, bei Teppichen mit Seiden-
einschlag, dem wgraet" oder „zydewerck", deren drei. Minderwertige und billige Wirk-
teppiche sollten des Vorteils des Affsettens nicht teilhaftig werden. Es war streng ver-
boten, das Verfahren in einer fremden Stadt, die mit weiterem Gewissen die kaiserlichen
Vorschriften handhabte — gedacht ist in erster Linie an Antwerpen, das von jeher
der Verordnung von 1544 den schärfsten Widerstand entgegensetzte — vornehmen
zu lassen.
Der Vorgang des Affsettens wird des öfteren in zeitgenössischen Rechnungsbelegen
erwähnt. Zwei Beispiele aus dem 16. Jahrhundert dürften genügen: Jehan Duquesne
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