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Deutung

von Edessa und späteren Königs von Jerusalem, mit der Tochter Theodors, des christ-
lichen Fürsten von Armenien. Das Schicksal des unglücklichen Peter I. von Lusignan,
Königs von Zypern, der 1365 Alexandria im Kampfe gegen die Ungläubigen nimmt
und bei dem allzu schnell eingetretenen Rückschlag von seinen Brüdern ermordet
wird, ist Gegenstand der „Prise d'Alexandrie" des Guillaume de Machaut, die wiederum
als Leitfaden für die reiche Folge der „istoria de Chipre" in Besitze des Don Carlos
de Viana gedient haben dürfte. Verschiedene Wirkteppiche im Nachlasse Johanns
von Berry erzählen die Taten des tapferen englischen Königs Richard Löwenherz.

Eine besondere Rolle spielt der französische Nationalheld Bertrand du Guesclin,
dessen Leben und Wirken etwa sechs- bis siebenmal in größeren Teppichfolgen ge-
feiert wird. Das kurz nach dem Tode Philipps des Kühnen (f 27. IV. 1404) auf-
gestellte Inventar bringt die Schlacht von Pont-Vallain; die Nachlaßaufstellung (1405)
seiner Gattin Margarete das Gefecht von Cochereel. 1386 liefert Pierre de Beaumetz
dem Herzog von Burgund eine vollständige Geschichte du Guesclins. Die Tatsache ist um
so bemerkenswerter, als der berühmte Connetable von Frankreich erst am 13. Juli 1380
während der Belagerung von Chäteauneuf-de-Randon das Zeitliche gesegnet hatte. Es
würde zu weit führen, sämtliche auf den Helden bezügliche Teppiche, von denen leider
nicht einer sich erhalten hat, hier eingehender zu erörtern.

Einen gewissen Anhalt hinsichtlich der Art dieser, sowohl künstlerisch wie kultur-
historisch außerordentlich interessanten Folgen gibt uns die Beschreibung eines den
Sieg von Formigny (15. IV. 1451) verherrlichenden Behanges, der in der zweiten Hälfte
des 15. Jahrhunderts entstand, zu Beginn des 17. Säkulums im Schlosse zu Fontaine-
bleau hing, um 1680, wohl infolge des schlechten Zustandes, abgenommen wurde und
dann für immer verschwand. Ein Manuskript der Pariser Nationalbibliothek, datiert
vom 5. August 1621, bringt neben einer eingehenden Schilderung verschiedene Skizzen
von der Hand des Kunsttischlers Gobert(44) (Abschnitt Arras).

Für manchen „zeitgenössischen" Wirkteppich mögen „Chansons" als Vorbild ge-
dient haben, ähnlich der Dichtung, die das berühmte Treffen der „Dreißig" bei
Ploermel vom Jahre 1351 besingt; die meisten dürften nach unmittelbaren Beschrei-
bungen entstanden sein. Mit Vorliebe werden Turniere zur Darstellung gebracht; der
Patronenzeichner hatte im Laufe der Jahre unzähligemal Gelegenheit, diese Kampf-
handlung zu beobachten und seine Entwürfe mit entsprechenden Variationen zusammen-
zustellen. Die bekanntesten Wirkereien dieser Art schildern das Lanzenstechen von
Saint-Inglevert bei Boulogne, das im März und April des Jahres 1390 auf Einladung
des tapferen Jehan Malingre, sieur de Boucicault, stattfand und die Blüte der franzö-
sischen und englischen Ritterschaft auf den Plan rief, sowie das Tournier von Saint-
Denis, zu dem der Ritterschlag Ludwigs von Anjou und Karls von Orleans den un-
mittelbaren Anstoß gab.

Die Folge der Belagerung Lüttichs, fünf reich mit zyprischem Golde, Silber und
Seide gewirkte Teppiche, behandelt die erbitterten Kämpfe, in die Johann ohne Furcht
als Bundesgenosse seines heftig bedrängten Schwagers Johann von Bayern, Bischofs
von Lüttich, verwickelt war. Der burgundische Herzog rückt im September 1408,
unterstützt von dem Grafen des Hennegau, Wilhelm IV. von Bayern, durch den Hasben-
gau in das Fürstbistum ein. Das Heer der aufständigen Lütticher wird in der Ebene
von Russon blutig geschlagen. Der Bischof, von seiner Einschließung in Maastricht
befreit, nimmt erbarmungslos Rache, die ihm den Beinamen „sonder Gnade" verschafft.
Die Folge schildert in dem ersten Teppich den Einmarsch des Burgunderheeres, in
dem zweiten den Abzug der Lütticher vor Maastricht. Die dritte Wirkerei bringt
die Entscheidungsschlacht, die vierte den ebenso demütigenden wie vergeblichen
Bittgang der Führer der Städte Lüttich, Tongres, Huy und Dinant, die fünfte schließlich
die öffentliche Verkündigung der erbarmungslosen Strafen, die auf dem Markte von
Lüttich vollstreckt wurden. Den Leitfaden gab, neben dem rein sachlichen Berichte
ein zu Ende des Jahres 1408 verfaßtes Gedicht, das einem unbekannten, herzlich un-
begabten Autor seine Entstehung verdankt.

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