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Deutung

Ähnlich verhält es sich mit den fast zu feststehenden Formeln gewordenen Dar-
stellungen der Dreieinigkeit, der Krönung Mariä und verwandter Motive.

Ein Beispiel möge genügen. Das beim Einzüge der Königin Isabeau (1389) am
St. Denistor aufgebaute «eschaffaut" zeigt auf der Thronbank Gott-Vater, Sohn und
Heiligen Geist, umgeben von einem Himmel, „nue" et estoille tres richement"; musi-
zierende Engelschöre schließen das farbenfrohe Bild. Isabeau wird von zwei Engeln
gekrönt. Das bekannte Schema der Madonnenkrönung — die Königin tritt an die
Stelle der Maria — geht unverändert in Szene. Das Paradies, in dem die Dreieinig-
keit mit den himmlischen Scharen thront, liegt in Stockwerkshöhe. Die Fürstin durch-
schreitet zu ebener Erde die Paradiesespforte, die krönenden Engel nehmen auf einer
Galerie in halber Höhe Aufstellung.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts beginnt sich die alte Formel zu verein-
fachen und aufzulösen. An Stelle der Dreieinigkeit thront bisweilen Christus allein,
so in dem prächtigen Brüsseler Teppich vom Jahre 1485 im Louvre zu Paris (Abb. 56)
— der Heilige Geist schwebt als Taube über der von Engeln gehaltenen Krone —;
in der Madonnenkrönung zu Madrid treten dagegen Gott-Vater, Sohn und Heiliger
Geist als krönende Personen in Erscheinung. Eine dritte Variante zeigt ein kleiner
Bildteppich im Berliner Schloßmuseum, der in Brüssel um 1520 entstanden sein
dürfte (Abb. 57). Gott-Vater und Sohn sitzen in feierlicher Haltung auf der Thron-
bank, über deren Mitte der Heilige Geist als Taube schwebt. Der Sohn hält die
Marienkrone; Engel tragen die Jungfrau zur Höhe empor. Um den Thronsitz grup-
piert sich die musizierende Schar. Der Berliner Behang ist ein Fragment; die gleiche
Darstellung findet sich in etwas abgewandelter Form in einem Wandteppiche des
New-Yorker Metropolitanmuseums (Abb. 58).

Abweichend von den bekannteren Motiven des Christuslebens baut sich die Folge
der „Heilandsrache" auf, die durch die beiden Teppiche der Sammlung Raoul Heil-
bronner und das Fragment im New-Yorker Metropolitanmuseum vertreten wird. Die
«Vengeance de nostre Seigneur", wTie sie die drei Behänge bringen, deckt sich im
wesentlichen mit einem Mysterium, das am 28. Mai 1491 bei dem Pariser Drucker
Anthoine V6rard erschien (60), das aber auf ältere Quellen zurückgreifen muß, schon
aus dem einfachen Grunde, weil die Teppiche rund zwei Jahrzehnte früher ent-
standen sind.

Die in dem Inventar Karls V. (1364) angeführten Behänge ude la Veronique et de
Vespasien qui fut gu£ri de sa meslerie" und «Vespasien qui fait metre Pilate en la
tour de Vienne" sind zweifelsohne Episoden einer frühen „Vengeance" (61).

Die Fabel ist kurz folgende: Die Passion des Herrn ist vollendet, der Heiland hat
ausgelitten. Ein himmliches Strafgericht tritt zusammen. Veritas und Justitia verlangen
von Gott-Vater eine scharfe Bestrafung der sündigen Juden, die in ausgelassener Stim-
mung durch ein üppiges Osterfest ihren Sieg über den Erlöser feiern.

Inzwischen entstehen dem Herrn neue Anhänger. Vespasianus, der Herzog von
Spanien, wird durch das wunderbare Schweißtuch Veronikas mit dem Abdrucke des
Erlöserhauptes, vom Aussatze geheilt (Abb. 213).

Die Fortsetzung der Legende schildert ein Teppich — gleichfalls Tournaiser Ab-
kunft — im Wiener Museum für Kunst und Industrie. Die Wirkerei, die um 1460
entstanden sein dürfte, berichtet uns, wie Kaiser Tiberius, der die seltsame Genesung
Vespasians vernimmt, Boten aussendet und Pilatus ersucht, den Heiland zur Fahrt nach
Rom zu bewegen. Der Landpfleger empfängt den Gesandten (Abb. 215). Tiberius
erfährt den Tod des Erlösers, er befiehlt den Schuldigen vor seinen Richterstuhl.
Pilatus schützt sich vor dem Zorne des Kaisers durch den wundertätigen Rock Christi,
den er unter seinen Kleidern trägt. Der Trug wird entdeckt und Pilatus eingekerkert.
Der Teufel überredet ihn zum Selbstmord, die sündige Seele fährt zur Hölle.

Es folgen in der „Vengeance" nun mehrere Episoden aus der Regierung des Clau-
dius und Nero. Die Juden zetteln, wütend über den kaiserlichen Befehl, Neros Stand-
bild in Salomos Tempel zur Verehrung des Volkes aufzustellen, einen Aufstand an.

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