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Deutung

Experience; Hippokrates, Galenos, Avicenna (Ibn Sina) und Averroes (Ibn Roschd) fun-
gieren als Beisitzer. Endlose Verhandlungen setzen ein. Bankett wird zum Tode durch
den Strang verurteilt; mit Souper geht man milder ins Gericht, bleierne Armringe ver-
leiden ihm in Zukunft die Lust am Zechen. Bankett beichtet; Diät waltet als Henker
seines Amtes. Die ganze Geschichte vollzieht sich im Rahmen der Hofetikette. Die
noch erhaltenen Teppiche der Folge der «Condamnation de banquet et souper" im
Museum zu Nancy schildern uns die einzelnen Episoden ganz in der Art eines Chan-
son de geste. Die allegorischen Personen erscheinen in reichen Zeitkostümen; die
Ausstattung der Räume ist die eines vornehmen adeligen Sitzes. Lediglich die er-
klärenden Reime und die den Personen beigefügten Namen geben Aufschluß über das
Motiv. Das Werk Meisters Nicolaus ist übrigens nicht originell; wahrscheinlich diente
eine Dichtung aus dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts als Vorbild. Tatsache ist
jedenfalls, daß der Gesandte Philipps des Guten in Wien, wahrscheinlich Le Fevre de
Saint-Remy, seinem Herrn von einer im kaiserlichen Palaste zum Verkauf gestellten Folge
der «Condamnation de Souper et de Banquet" berichtet. Bereits 1501 erwirbt Philipp
der Schöne von Colart Bloyart in Tournai vier Bildwirkereien uä personnages ä maniere
de Banquet". Vier Jahre später verkauft Jehan Grenier die gleiche Serie, die diesmal
aus sechs Teppichen besteht. 1519 stellt die Witwe des Tournaiser Wirkers Colart
de Burbure eine aus acht Stück bestehende Folge fertig, die die Stadt dem französi-
schen Marschall, Herrn de Chastillon, überreichen läßt.

Verhältnismäßig häufig finden wir in zeitgenössischen Mobilienverzeichnissen Bild-
teppiche, die ihren Stoff den sagenhaften Taten Virgils entnehmen. Das Schloßinventar
von Cornillon vom 4. März 1380 erwähnt wunus pannus paramenti, de opere Atrabatensi,
cum istoriis Virgilii". Dehaisnes nennt eine Arraser Folge — vier Behänge — „du Miroir
de Romme". Man sieht in dem antiken Dichter eine Art boshaften Zaubermeister, dessen
bisweilen allzu drastische Taten mit wahrer Begeisterung in Stickereien und reichen
Bildteppichen festgehalten werden. Wiederum ist es Deutschland, das diese burlesken
Episoden in erster Linie bevorzugt.

Es fehlt naturgemäß nicht an zahlreichen mimischen und dramatischen Verarbeitungen
des eigenartigen Stoffes, der dem damaligen Zeitgeschmacke in starkem Maße entgegen-
kommt. Als der Graf von Charolais, der spätere Karl der Kühne, am 16. März 1469
in Arras einzieht, läßt der Rat verschiedene Mimodramen für den erlauchten Gast auf-
führen, darunter auch „l'istoire de Vergille qui assist ung miroir dedens Romme pour
ses ennemis perchevoir". Der Inhalt des Mysteriums und entsprechend der Teppich-
folge war etwa folgender: Der Zauberer Virgil läßt einen riesenhaften Spiegel fertigen,
der ungeahnte Fähigkeiten besitzt; er zeigt ihm an, wann seine Feinde nahen, oder
wohin gestohlenes Gut wandert. Der König von Ungarn besticht vier Gesellen, den
ihm unbequemen Spiegel — der nebenbei die Eigenschaft besitzt, nahende Kriegsgefahr
zu melden — zu zerschlagen. Durch trügerische Träume bewegen sie den König von
Rom, nach angeblichen Schätzen unter dem großen Spiegel zu graben. Der habsüchtige
Fürst glaubt den erlogenen Angaben. Der Spiegel stürzt zusammen, die Gesellen ent-
weichen rechtzeitig, das erbitterte Volk gießt dem schätzegierigen König siedendes
Gold in den Leib.

Die Teppiche mit der Geschichte der sieben Weisen, die bisweilen auch unter dem
Titel «tappiz d'Ottoviem (Octavian) Fempereur" auftauchen, behandeln in ähnlicher
Form wie die Virgilmärchen die sagenhaften Erlebnisse eines Kaisersohnes. «Li Romans
des sept sages" geht auf orientalische, bzw. griechische und lateinische Quellen zurück.
Der römische Kaiser, einmal Octavian, ein anderes Mal Vespasian geheißen, wird durch
das Tuch der Veronika mit dem Bilde Christi von der Blindheit geheilt. Der Beginn
der Legende ist seltsam mit der Vengeance de N. S. Jesus-Christ verknüpft. Es folgt
der Zug Vespasians nach Judäa, die Einnahme Jerusalems und die Bestrafung der rebelli-
schen Juden. Der Kaiser heiratet die Tochter des Herzogs von Karthago, die bei der
Geburt eines Sohnes stirbt. Vespasian läßt aus Rom sieben Meister — die Namen wechseln
in den verschiedenen Versionen — kommen, um den Knaben in den sieben Künsten —

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