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Deutung

la Fille violee, la Mere de la fille, avec la Sainte Hostie qui se presenta a l'Empereur____

Finis. Beati qui faciunt justiciam in omni tempore" (133).

Herkinbald (der Kaiser) ist alt geworden, er will zugunsten seines Neffen abdanken
und räumt bereits dem jungen Verwandten weitgehende Rechte ein. Der Neffe, ein
jähzorniger, allen Ausschweifungen ergebener Mensch, benutzt die erste Gelegenheit,
eine Jungfrau, der er schon lange nachstellt, die aber stets seine unziemlichen Gelüste
mit Entrüstung zurückgewiesen hat, mit Gewalt in seinen Palast zu schleppen. Die
Entehrte wendet sich hilfesuchend an den greisen Herrscher.

Der Kaiser läßt den Neffen rufen und stellt ihn zur Rede. Die Verhandlung ent-
wickelt sich recht stürmisch und endet damit, daß der Alte dem jungen Sünder den
Dolch in die Kehle stößt. Der Adel des Reiches und die hohe Geistlichkeit stehen dem
impulsiven Vorgehen des Fürsten durchaus nicht sympathisch gegenüber. Sie halten
die Strafe für zu weitgehend und sehen den raschen körperlichen Verfall, den die
Aufregung für den Greis mit sich bringt, für eine Züchtigung des Himmels an.
Herkinbald liegt auf dem Sterbebette und begehrt die letzte Wegzehrung. Der
Kaplan, sein Beichtiger (in der Version des Cäsarius ein Bischof), schlägt die Bitte ab.
Er"~will schließlich den Leib Gottes spenden, wenn der Sterbende sich des Todschlags
schuldig bekennt und seine Tat bereut.

Der Kaiser weist das Ansinnen mit Entrüstung von sich, die Strafe des Frevlers sei
zu Recht erfolgt und nicht mit dem Makel der Sünde befleckt. Der Beichtiger ver-
harrt auf seinem ablehnenden Standpunkte.

Der nach Erlösung lechzende Herkinbald fleht den Himmel um Entscheidung an.
Das Wunder vollzieht sich. Die Hostie entschwebt den Händen des Priesters und
legt sich auf die Lippen des Sterbenden. Betend entschläft der Herrscher.

Sowohl der Berner wie der Brüsseler Teppich halten sich an den Gang der Hand-
lung der späteren Moralität, die in einigen Punkten von der Fassung des Heisterbacher
Mönches abweicht.

Von besonderem Interesse ist eine Anzahl Teppiche, die gleichfalls auf Moralitäten
zurückgehen, deren Text jedoch nicht mehr vorhanden, bzw. mir bislang nicht bekannt
geworden ist.

Eugen Müntz erwähnt in den „Tapisseries allegoriques" (134) ohne weitere Deutung
verschiedene Behänge, die ihre Abkunft von zeitgenössischen Moralitäten unverkennbar
an der Stirne tragen.

Der Gedankengang ist trotz der seltsam anmutenden Aufmachung unschwer ver-
ständlich. „Det" und uCavet" (135), ein prächtig gekleidetes Paar, Personifikationen der
Spielleidenschaft, hocken würfelnd am Tisch. Hinter ihnen stehen Obstination (Hals-
starrigkeit) und Coeur delleal (Treulosigkeit), die Folgen des ungezügelten Spiels. Aus
wüstem Leben erwächst „Blaspheme", die Gotteslästerung. Die Stunde der Strafe
naht. „Justice", eine hochgewachsene gekrönte Frau, durchbohrt die Zunge Blaspheme's
mit langer Nadel.

Die Seele des Spielers erscheint vor dem göttlichen Gerichte. Mise>icorde und die
geflügelte Charit^ werfen die wenigen guten Werke — Gebetbücher und Schriftrollen —
in die Schale der Wage. Vergebens ist ihr Bemühen. Die Schale der Erdenlust —
eine die Welt und ihre Freuden verkörpernde Glaskugel — sinkt schwer herab und
überweist den Sünder der höllischen Pein. Hohnlachend zerschlägt „Folie Outrecui-
dance", die törichte Vermessenheit, die zerbrechliche Kugel der Sinnenfreude.
Der nächste Teppich spinnt den Gedanken fort.

«Le monde pend a ung fil seulement
Mais l'öglise pacifie humblement
Par les peschies quon voit present regner.
Le ire divin voillant le arbre copper.
Das Schriftband unter der Mitte der oberen Bordüre gibt den Leitfaden. Die Darstellung
ist denkbar naiv. Wie in den meisten Fällen wird die Parabel möglichst wörtlich in
das Bild übertragen, mögen auch noch so absurde Zusammenstellungen entstehen.

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