Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deutung

liehe Begierde" locken die Wankelmütige von dem ihr anbefohlenen Platze. Die Ge-
nossen der «Menschlichen Lehre" machen sich schleunigst daran, den Stamm der «Heiligen
Schrift" zu fällen. Elc Bysonder führt mit ihren neuen Freunden ein vergnügtes Da-
sein. Ein gewaltiges Gelage beginnt, der Wein „Fornicacie" (Unzucht) fließt in Strömen.
Zur rechten Zeit erscheint Glaube und gewinnt Elc Bysonder dem lauteren Worte
Gottes zui'ück. Die antikatholische Tendenz ist unverkennbar, sie wird noch verstärkt
durch die aufreizenden Reden, die die beiden Diener, die wSinnekens", ständig im
Munde führen. Es geht über den Ablaßschacher her, man schilt auf die Susannabuben
und die Baalsdiener. Die Aufführung der Moralität war von wenig angenehmen Folgen
begleitet. Die Gerichtsbehörden nahmen den jungen Rederijker Jakob van Middel-
donck in Haft, nach längerem Verfahren legte der arme Teufel den Kopf auf den
Block.

Trotz der nicht zu leugnenden Ähnlichkeit der Handlung hat der erwähnte Bild-
teppich — Ire divin fällt den Baum mit der Weltkugel — mit der Middelburger Mo-
ralität nichts zu tun. Es scheint vielmehr, daß das so blutig verlaufene Spiel die
Nachdichtung einer damals allgemein bekannten, jetzt verloren gegangenen älteren
Fassung war.

Wandteppiche nach reformatorischen Moralitäten zählen zu den größten Selten-
heiten. Die Bildwirkerei, eine durch und durch aristokratische Kunst, war nur für große
Herren zugänglich. Der protestantisch gesonnene Teil der spanischen Niederlande
rekrutierte sich zunächst aus der breiten Masse, die nicht das geringste Interesse hatte,
durch kostbare Bildteppiche Propaganda zu treiben. Der Landesherr, seine Statt-
halter und Feldobersten waren naturgemäß überzeugte Katholiken, sie eiferten redlich
dafür, daß der neue Glaube nicht allzu üppig ins Korn schoß. Es ist mehr wie
fraglich, ob Flandern und Brabant in den späteren Jahrzehnten für den oranisch ge-
sinnten Hochadel Bildwirkereien protestantisch-allegorischer Tendenz erzeugten. Sollte
es der Fall gewesen sein, so sorgte das rücksichtslose Vorgehen Albas, der dem Grund-
satze huldigte, die „Glaubenspest" nicht nur mit den abgeschlagenen Köpfen, sondern
auch mit der Einziehung des gesamten Besitzes der Ketzer zu bekämpfen, dafür, daß der-
artige Wahrzeichen des Aufruhrs der Vernichtung anheim fielen.

In dem protestantischen Deutschland, dem kein Inquisitor die Freiheit hemmte, ge-
langte die religiöse Moralität nie zu der weittragenden Bedeutung wie in den Nieder-
landen. Die deutschen Teppiche, die Glaubensmotive mit Kampftendenzen gegen die
katholische Kirche verknüpfen, arbeiten nach anderen Quellen.

Das charakteristischste Beispiel dürfte der bekannte Eisenberger Teppich aus der
Manufaktur des Seger Bombek sein (137). Der Patronenmaler, ein Jünger Kranachs,
benutzt zwei bekannte Motive seines Meisters, das „Alte" und das «Neue Testament"
in nicht gerade geistvoller Wreise. Aus dem Teufel wird Leo X. mit der Fahne und
den Schlüsseln Petri, der Tod wandelt sich zum römischen Kleriker, der die Saufeder
in der gleichen Haltung führt wie sein Urbild. Das Paar wird durch einen dritten
Geistlichen ergänzt, der mit Steinen — d. h. mit unwahren Angriffen — nach Luther
wirft. In der zweiten Teilszene erscheint der auferstehende Christus in starker Anleh-
nung an das „Neue Testament". Zu Füßen des Erlösers liegen Tod und Teufel. Der
Patronenmaler betont die antipapistische Tendenz, indem er dem Teufel kurzerhand
die Tiara aufsetzt und einige Mönche als Leidensgefährten hinzufügt.

Auf älteren Quellen fußen zwei weitere Teilgebiete der sinnbildlichen Patronenmalerei,
die symbolische Jagd und das Verger-Motiv.

Die allegorische Jagd steht in enger Beziehung zu dem Einhorn-Mariensymbol, das
unzählige Male im frühen Mittelalter in der bildenden und angewandten Kunst ver-
wertet worden ist. Uberreich ist die Literatur, die das Thema behandelt. Nur kurz
sei der Gedankengang gestreift. Das Einhorn gilt als Sinnbild der Keuschheit. Der
Jäger vermag es mit keiner List zu fangen. Nur in dem Schöße einer reinen Jungfrau
legt das Tier seine Wildheit ab, zahm und ohne Arg ergibt es sich dem Verfolger.
Diese alte, dem Physiologus und verwandten Bestiarienbüchern entnommene Fabel

130
 
Annotationen