Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deutung

Als Vorbild dient der „verschlossene Garten", der „hortus conclusus", in dem die
Gottesmutter ruht, im Schöße den mit purpurner Wolle gefüllten Korb, das Material
für den Vorhang, den die Jungfrau nach der apokryphischen Uberlieferung dem Tempel
stiftet. Der geschlossene Garten gehört mit zu den zahlreichen Symbolen der unbe-
fleckten Empfängnis. Das Sinnbild des Unberührten, Makellosen überträgt sich, in Ge-
stalt der Umwehrung, auch auf andere Motive religiöser und profaner Art. Es entsteht
eine regelrechte Verger-Manie. Auch der frisch geadelte Geldmann setzt sein Wappen-
tier mit dem neuen Schild in den Verger d'Honneur, den der Zaun umschließt, in der
Regel ein Weidengeflecht, das ähnlich der Lehmstakung älterer Fachwerksbauten sich
um senkrecht gesetzte Knüppel schlingt.

Die bekannte Folge der Dame mit dem Einhorn bedient sich gleichfalls des hortus
conclusus, wenngleich der Zaun nur „en miniature" angedeutet ist. Charakteristischer
tritt das Flechtwerk bei der bereits erwähnten Wappenwirkerei im Museum zu Rouen
in Erscheinung.

Das Schema wird des öfteren durch ein weiteres Marienemblem, den lebendig spru-
delnden Brunnen (Puteus aquarum viventium) vermehrt.

Wandteppiche dieser Art gehören nicht zu den Seltenheiten; namentlich die kleineren
Manufakturen bedienen sich des reizvollen Motives zur Belebung der Verdüren. Im
16. Jahrhundert verschwindet das Bewußtsein an den Ursprung des Symbols. Der
hortus conclusus sinkt zum reinen Dekorationsmittel herab, ohne etwas von seinem
ursprünglichen Reize einzubüßen. Die heimischen Gartenmotive treten die Herrschaft
an. In die metallene Schale ergießt sich aus den Mäulern der Maskarons, die die Säule
schmücken, die klare Flut, die ihren Weg in das blühende Bunt des Gartens sucht;
Vögel sitzen auf dem Brunnenrande und laben sich am frischen Naß (Abb. 95). Allerlei
edles Getier treibt in der Umwehrung sein Wesen, während sich außerhalb Jagd-
szenen abspielen.

Das Vergersymbol wird im 15. und 16. Jahrhundert vielfach literarisch verwertet.
Der „Vergier d'honneur" des Andreas de la Vigne, des Hofdichters König Karls VHI.
von Frankreich, in dem der abenteuerliche Plan der Eroberung Neapels und der an-
schließende Kreuzzug allegorisch verherrlicht wird, ist nicht unbekannt. Einen Einfluß
auf die Bildteppichwirkerei scheinen diese Schriften nicht ausgeübt zu haben. Die
Sibyllen, die vereinzelt in dem „geschlossenen Garten" neben dem sprudelnden Brunnen
erscheinen (Abb. 96), haben kaum etwas mit der didaktischen Literatur zu schaffen.

An dem erforderlichen Anschauungsmaterial fehlt es den Patronenmalern der Verger-
folgen in keiner Weise. Das Motiv wird bei den fürstlichen Einzügen des frühen
16. Jahrhunderts mit Vorliebe gestellt. Am 6. November 151-4 betritt die Königin Maria
von England die Stadt Paris. Zahlreiche „öchaffauts" entstehen ihr zu Ehren. An der
„porte royale du Palais" wird auf dem Gerüste die Verkündigung gespielt, „au bas
dudit 6chaffaut avoit un beau jardin nommö le Vergier de France, semö de plusieurs
beaux lys et au dessus de ce jardin estoient un Roy et une Royne & ä dextre estoit
Dame Justice, tenant une espöe en sa main, & ä senestre estoit Dame Ve>it6, tenant en
sa main la Paix, & dedans ledit jardin estoient plusieurs Bergers et Bergeres, lesquels
chantoient melodieusement" (139).

Noch typischer ist die Anordnung des Ehrengartens bei dem Einzüge der Königin
Claude, der Gattin Franz L, am 12. Mai 1517. Vor der Trinitekirche erhebt sich eine Schau-
bühne „sur lequel au plus haut estoient six personnages, scavoir un Roy couronnö, une
Royne, & deux jeunes Damoiselles, & un nomme „Bon Conseil", tenant un papier, &
l'autre „Bon Vouloir", tenant l'estendart de Vertu, & au bas dudit eschaffaut estoit un
beau jardin, nomme le Clos de Repos, au milieu duquel estoit un lys que deux
personnages gardoient, Tun se nommoi't le „Baston de prouesse", tenant une lance, &
l'autre le „Baston de Concorde", tenant une espöe".

In welch seltsam spintisierende Gedankengänge sich das Vergeremblem bisweilen
verliert, zeigt ein Schaugerüst, das die ehrsame Stadt Lyon, der Hochsitz verfeinerter
Gelehrsamkeit, zum 27. Mai 1533 der Königin Eleonore, der zweiten Gemahlin Franzi.,

132
 
Annotationen