Deutung
erklären. Schon in der Spätgothik und in der Frührenaissance ist das Bestreben zu
beobachten, das Pflanzenwerk — es handelt sich zunächst um seltene Schaupllanzen —
die Blumenwiese überwuchern zu lassen. Gute Beispiele bieten zwei Teppiche
der Wartburg. Schwertlilien, eine Art Passionsblume, daneben das breitlappige
Blatt des Akanthus decken den metallenen Röhrenbrunnen fast zu (Abb. 160, 95). Es
fehlen zur Belebung des farbenfrohen Bildes wTeder Papagei noch Hirsch. Deutlich
ist der Abschluß des Gartens durch eine Art Flechtzaun erkennbar. In dem zweiten
Behänge der Folge ist die Überwucherimg bereits vollzogen. Der Hintergrund mit
dem ruhenden Schäfer und der etwas klotzigen Burganlage ist kaum noch zu erkennen.
Ein riesiger Hirsch mit elchartigem Geweih blickt tückisch aus der Mitte des Ge-
wirrs.
Nicht ohne Interesse ist das Inventar des Schlosses von Turenne im Limousin (1. VII.
1615). Unter den bereits stark abgenutzten Wandteppichen finden sich zehn Stück
„faictes en facon de fontaine et de grands feuilhiages et de bestes sau vages". Die
Angabe ist eine kurze, aber prägnante Beschreibung der Teppichgattung. Ebenso
deutlich drückt sich ein weiterer Passus aus. Es handelt sich um eine Bettgarnitur
„tout ä grandz feuillages vers de roses et raisins faictz en facon de fontaine avec des
bestes sauvages et de grands franges de laine verte, rouge et jaulne."
Stellt der erste Wartburgbehang die Blumenwiese mit dem Springbrunnen dar, so
erblicken wir augenscheinlich in dem zweiten Teppich einen Teil des Wildgartens.
Die aufgestellte Säule mit dem fratzenhaften, schießenden Mann scheint die Annahme
zu bestätigen.
Noch klarer wird der Entwicklungsgang durch die Abb. 162 charakterisiert. Der
Wildgarten mit seiner Umzäunung ist unverkennbar. Ein junger Jagdleopard miß-
braucht sein Gastrecht und geht wenig glimpflich mit einem seltenen Vogel um. Das
Muttertier springt am Baume hoch. Jenseits des Gatters erstreckt sich der eigentliche
Jagdgrund mit Hirschen, Rehen und Sauen. Der Überwucherungsprozeß ist bereits
stark vorgeschritten.
Das Wildgartenmotiv beginnt sich in zwei selbständige Arten zu gliedern. Ent-
weder überspinnt die Pflanzenwelt den Gesamtteppich, die Tiere sind dann nur nocli
Beiwerk — es erscheint die großblättrige Verdüre —, oder der Waldcharakter bleibt
bildmäßig gewahrt; der Grün- oder Waldteppich mit Baumschlag, Wiesen, Getier
und dem weiten landschaftlichen Durchblick tritt in Erscheinung.
Dem Gange der Entwicklung folgend, überzieht in den großblättrigen Verdüren
das Blattwerk zunächst nur die untere Hälfte, bedeckt dann zwei Drittel der Bild-
fläche, bis schließlich dem Horizont nur noch ein schmaler Streifen vergönnt wird,
und auch dieser zuletzt verschwindet. Es ist nicht angängig, einer bestimmten Manu-
faktur diese, mit einfachen Mitteln so überaus dekorativ wirkenden Teppiche zuzu-
schreiben. Man ist geneigt, Enghien als Herstellungsort der Distelverdüre anzusehen,
weil der eine oder andere Behang die Stadtmarke trägt. Tatsächlich haben die
verschiedensten Ateliers Flanderns, Brabants und Hollands die in der Herstellung
wohlfeile Gattung gepflegt. Auch die Werkstätten von Felletin und Aubusson
kommen für eine gewisse Abart in Frage. Die Brüsseler großblättrigen Verdüren
sind dem Qualitätsgefühle der großen brabantischen Manufaktur entsprechend reich
und klar durchdetailliert. Der großblättrige Teppich wird um so einfacher, bis-
weilen auch um so flächenhafter, je mehr die betreffende Werkstatt die rein kommer-
zielle Seite der Wirkteppicherzeugung in den Vordergrund rückt. Die Mehrzahl ver-
dankt jedenfalls Oudenaarde ihre Entstehung, der Stadt, die urkundlich schon in dem
ersten Drittel des 16. Jahrhunderts viele tausende billiger Verdüren liefert. Daß die
Oudenaarder Signierung so außerordentlich selten vorkommt, erscheint nicht weiter
erstaunlich. Vor der bekannten Verordnung Kaiser Karls vom Jahre 1544 signierte
Oudenaarde überhaupt nicht; nach dem Erlasse fielen die großblättrigen Grünteppiche
zum erheblichen Teile nicht unter den Absatz 41 des Ediktes, da der Herstellungs-
preis nicht selten unter 24 Patars für die Quadratelle lag. Wie wenig es angängig er-
M GöbeL, Wendteppiche.
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erklären. Schon in der Spätgothik und in der Frührenaissance ist das Bestreben zu
beobachten, das Pflanzenwerk — es handelt sich zunächst um seltene Schaupllanzen —
die Blumenwiese überwuchern zu lassen. Gute Beispiele bieten zwei Teppiche
der Wartburg. Schwertlilien, eine Art Passionsblume, daneben das breitlappige
Blatt des Akanthus decken den metallenen Röhrenbrunnen fast zu (Abb. 160, 95). Es
fehlen zur Belebung des farbenfrohen Bildes wTeder Papagei noch Hirsch. Deutlich
ist der Abschluß des Gartens durch eine Art Flechtzaun erkennbar. In dem zweiten
Behänge der Folge ist die Überwucherimg bereits vollzogen. Der Hintergrund mit
dem ruhenden Schäfer und der etwas klotzigen Burganlage ist kaum noch zu erkennen.
Ein riesiger Hirsch mit elchartigem Geweih blickt tückisch aus der Mitte des Ge-
wirrs.
Nicht ohne Interesse ist das Inventar des Schlosses von Turenne im Limousin (1. VII.
1615). Unter den bereits stark abgenutzten Wandteppichen finden sich zehn Stück
„faictes en facon de fontaine et de grands feuilhiages et de bestes sau vages". Die
Angabe ist eine kurze, aber prägnante Beschreibung der Teppichgattung. Ebenso
deutlich drückt sich ein weiterer Passus aus. Es handelt sich um eine Bettgarnitur
„tout ä grandz feuillages vers de roses et raisins faictz en facon de fontaine avec des
bestes sauvages et de grands franges de laine verte, rouge et jaulne."
Stellt der erste Wartburgbehang die Blumenwiese mit dem Springbrunnen dar, so
erblicken wir augenscheinlich in dem zweiten Teppich einen Teil des Wildgartens.
Die aufgestellte Säule mit dem fratzenhaften, schießenden Mann scheint die Annahme
zu bestätigen.
Noch klarer wird der Entwicklungsgang durch die Abb. 162 charakterisiert. Der
Wildgarten mit seiner Umzäunung ist unverkennbar. Ein junger Jagdleopard miß-
braucht sein Gastrecht und geht wenig glimpflich mit einem seltenen Vogel um. Das
Muttertier springt am Baume hoch. Jenseits des Gatters erstreckt sich der eigentliche
Jagdgrund mit Hirschen, Rehen und Sauen. Der Überwucherungsprozeß ist bereits
stark vorgeschritten.
Das Wildgartenmotiv beginnt sich in zwei selbständige Arten zu gliedern. Ent-
weder überspinnt die Pflanzenwelt den Gesamtteppich, die Tiere sind dann nur nocli
Beiwerk — es erscheint die großblättrige Verdüre —, oder der Waldcharakter bleibt
bildmäßig gewahrt; der Grün- oder Waldteppich mit Baumschlag, Wiesen, Getier
und dem weiten landschaftlichen Durchblick tritt in Erscheinung.
Dem Gange der Entwicklung folgend, überzieht in den großblättrigen Verdüren
das Blattwerk zunächst nur die untere Hälfte, bedeckt dann zwei Drittel der Bild-
fläche, bis schließlich dem Horizont nur noch ein schmaler Streifen vergönnt wird,
und auch dieser zuletzt verschwindet. Es ist nicht angängig, einer bestimmten Manu-
faktur diese, mit einfachen Mitteln so überaus dekorativ wirkenden Teppiche zuzu-
schreiben. Man ist geneigt, Enghien als Herstellungsort der Distelverdüre anzusehen,
weil der eine oder andere Behang die Stadtmarke trägt. Tatsächlich haben die
verschiedensten Ateliers Flanderns, Brabants und Hollands die in der Herstellung
wohlfeile Gattung gepflegt. Auch die Werkstätten von Felletin und Aubusson
kommen für eine gewisse Abart in Frage. Die Brüsseler großblättrigen Verdüren
sind dem Qualitätsgefühle der großen brabantischen Manufaktur entsprechend reich
und klar durchdetailliert. Der großblättrige Teppich wird um so einfacher, bis-
weilen auch um so flächenhafter, je mehr die betreffende Werkstatt die rein kommer-
zielle Seite der Wirkteppicherzeugung in den Vordergrund rückt. Die Mehrzahl ver-
dankt jedenfalls Oudenaarde ihre Entstehung, der Stadt, die urkundlich schon in dem
ersten Drittel des 16. Jahrhunderts viele tausende billiger Verdüren liefert. Daß die
Oudenaarder Signierung so außerordentlich selten vorkommt, erscheint nicht weiter
erstaunlich. Vor der bekannten Verordnung Kaiser Karls vom Jahre 1544 signierte
Oudenaarde überhaupt nicht; nach dem Erlasse fielen die großblättrigen Grünteppiche
zum erheblichen Teile nicht unter den Absatz 41 des Ediktes, da der Herstellungs-
preis nicht selten unter 24 Patars für die Quadratelle lag. Wie wenig es angängig er-
M GöbeL, Wendteppiche.
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