Deutung
vor allem der deutsche Adel in seinen heraldischen Behängen, wie überhaupt die Lieb-
haberei für gewirkte Wappen- und Ahnenteppiche mehr Sache des germanischen wie
des romanischen Geistes war.
Der kreisrund oder oval durch Zaun oder Flechtwerk abgeschlossene Ehrengarten,
der verger d'honneur, behauptet seine Beliebtheit noch in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Namentlich die kleineren Manufakturen bedienen sich lange des
feudalen Motives. Eine der typischsten Serien dieser Art erzeugte um 1530 die Manu-
faktur Enghien. Die Ehrengartenfolge des Antoine de Jauche, seigneur de Mastaing
befindet sich zur Zeit auf Schloß Vrigny(229).
Das Wappentier des Geschlechtes ersetzt nicht selten eine allegorische Frauengestalt,
die das Spruchband des Sieur und seinen Schild trägt. Ein Teppichfragment im Be-
sitze des Herrn de Baudreuil auf Schloß Favelles zeigt Pallas Athene; der Wappen-
spruch «Sub sole sub umbra virens" und das Hoheitszeichen des Hauses Baudreuil
lassen über die Provenienz keinen Zweifel (230).
Noch häufiger vertritt der grünende Baum Wappentier und Allegorie. Teppiche
dieser Art gehören heutzutage zu den Seltenheiten. Gaignieres, der mit unermüdlichem
Eifer alle ihm zugänglichen heraldischen Arbeiten in Zeichnungen festhielt, bringt einige
Beispiele.
Charakteristisch sind die Wappenteppiche der alten Medizinerfamilie Miron, deren
redendes Zeichen der Spiegel, umire==miroir", war. Ein glücklicher Zufall hat außer
der Gaignieresschen Skizze den Teppich (Sammlung Brauer), der als Vorlage diente,
erhalten (231). Ein blühender Orangenbaum steht inmitten des Obstgartens, in dem
allerlei Getier — Hirsche, Kaninchen, Fasanen — sein Wesen treibt. An dem Ge-
zweige hängt das Wappenschild der Miron, der stark gewölbte Spiegel des Mittel-
alters. Uber dem Baume schweben zwei Engel, in den Händen das Ptolemäische
Sphärenschema. Das Spruchband der Bordüre gibt in beliebter Wortspielerei den
Aufschluß des Symbols: A. QVI. PAR. FOY. ET. CHARITE. ESPERE. AY. BON. EN-
DROIT. VERS. LVI. TORNET. LESPERE. (les spheres).
Der Vergleich von Teppich und Zeichnung ist nicht ohne Interesse. Gaignieres macht
aus dem typischen, abgeschlossenen, noch mittelalterlich anmutenden Obstgarten einen
regelrechten Wildpark mit waldigem Hintergrunde. In ähnlicher Weise ist die Wappen-
folge der Familie de Mesmes behandelt. Vor einem fruchttragenden Baume steigt
Pegasus in die Lüfte; in den Ecken halten heraldische Tiere die Wappenschilder. Die
Folge stammt angeblich aus dem Besitze Antons von Bourbon-Navarra und Johannas
d'Albret. Die de Mesmes entfernten im 17. Jahrhundert die alten Hoheitszeichen.
Gaignieres bringt unter Nr. 881 der Sammlung eine Lösung, die an die berühmte
Folge der Dame mit dem Einhorn erinnert. Ein Zelt trägt die Embleme der Vendöme-
Rubemprö. Vier gepanzerte Ritter mit Bannern halten die Wacht. In den Ecken
prangen die Wappen der d'Estr^es-Vendöme. Die heraldische Legende zählt die Vor-
fahren der Katherina de Bourbon auf, der Gattin des 1571 verstorbenen Jean d'Eströes,
Herrn vonCoeuvres, Großmeisters des Geschützparkes der aUerchristlichsten Majestät von
Frankreich. Mit starker Anlehnung an den beschriebenen Behang arbeitet das bereits
erwähnte Fragment im Besitze der Münchener Kunsthandlung Julius Böhler (Abb. 63).
Entsprechend den neuantiken Anschauungen wird das Zelt im 17. Jahrhundert durch
den Portikus oder die Säulenhalle ersetzt; am Tympanon prangt das Hoheitszeichen
des Geschlechtes. Die zugefügten Embleme finden zumeist ohne Schwierigkeiten in
dem Wappenspruch, der möglichst wörtlich übersetzt wird, ihre Erklärung. Ein
Teppich des Kardinals Richelieu (f 1642) zeigt das Wappen des berühmten Staats-
mannes als architektonisches Mittelstück an dem Architrave des Säulenganges. Ein
Kompas mit der Legende „Nec momentum sine linea" ist beigegeben. Den Hinter-
grund schließt eine weite Landschaft mit Flußbildern (232). Die kürzlich in der Samm-
lung Raoul Heilbronner aufgetauchten Teppiche aus dem Besitze des Kardinals ver-
körpern das gleiche Prinzip (Abb. 168).
183
vor allem der deutsche Adel in seinen heraldischen Behängen, wie überhaupt die Lieb-
haberei für gewirkte Wappen- und Ahnenteppiche mehr Sache des germanischen wie
des romanischen Geistes war.
Der kreisrund oder oval durch Zaun oder Flechtwerk abgeschlossene Ehrengarten,
der verger d'honneur, behauptet seine Beliebtheit noch in der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts. Namentlich die kleineren Manufakturen bedienen sich lange des
feudalen Motives. Eine der typischsten Serien dieser Art erzeugte um 1530 die Manu-
faktur Enghien. Die Ehrengartenfolge des Antoine de Jauche, seigneur de Mastaing
befindet sich zur Zeit auf Schloß Vrigny(229).
Das Wappentier des Geschlechtes ersetzt nicht selten eine allegorische Frauengestalt,
die das Spruchband des Sieur und seinen Schild trägt. Ein Teppichfragment im Be-
sitze des Herrn de Baudreuil auf Schloß Favelles zeigt Pallas Athene; der Wappen-
spruch «Sub sole sub umbra virens" und das Hoheitszeichen des Hauses Baudreuil
lassen über die Provenienz keinen Zweifel (230).
Noch häufiger vertritt der grünende Baum Wappentier und Allegorie. Teppiche
dieser Art gehören heutzutage zu den Seltenheiten. Gaignieres, der mit unermüdlichem
Eifer alle ihm zugänglichen heraldischen Arbeiten in Zeichnungen festhielt, bringt einige
Beispiele.
Charakteristisch sind die Wappenteppiche der alten Medizinerfamilie Miron, deren
redendes Zeichen der Spiegel, umire==miroir", war. Ein glücklicher Zufall hat außer
der Gaignieresschen Skizze den Teppich (Sammlung Brauer), der als Vorlage diente,
erhalten (231). Ein blühender Orangenbaum steht inmitten des Obstgartens, in dem
allerlei Getier — Hirsche, Kaninchen, Fasanen — sein Wesen treibt. An dem Ge-
zweige hängt das Wappenschild der Miron, der stark gewölbte Spiegel des Mittel-
alters. Uber dem Baume schweben zwei Engel, in den Händen das Ptolemäische
Sphärenschema. Das Spruchband der Bordüre gibt in beliebter Wortspielerei den
Aufschluß des Symbols: A. QVI. PAR. FOY. ET. CHARITE. ESPERE. AY. BON. EN-
DROIT. VERS. LVI. TORNET. LESPERE. (les spheres).
Der Vergleich von Teppich und Zeichnung ist nicht ohne Interesse. Gaignieres macht
aus dem typischen, abgeschlossenen, noch mittelalterlich anmutenden Obstgarten einen
regelrechten Wildpark mit waldigem Hintergrunde. In ähnlicher Weise ist die Wappen-
folge der Familie de Mesmes behandelt. Vor einem fruchttragenden Baume steigt
Pegasus in die Lüfte; in den Ecken halten heraldische Tiere die Wappenschilder. Die
Folge stammt angeblich aus dem Besitze Antons von Bourbon-Navarra und Johannas
d'Albret. Die de Mesmes entfernten im 17. Jahrhundert die alten Hoheitszeichen.
Gaignieres bringt unter Nr. 881 der Sammlung eine Lösung, die an die berühmte
Folge der Dame mit dem Einhorn erinnert. Ein Zelt trägt die Embleme der Vendöme-
Rubemprö. Vier gepanzerte Ritter mit Bannern halten die Wacht. In den Ecken
prangen die Wappen der d'Estr^es-Vendöme. Die heraldische Legende zählt die Vor-
fahren der Katherina de Bourbon auf, der Gattin des 1571 verstorbenen Jean d'Eströes,
Herrn vonCoeuvres, Großmeisters des Geschützparkes der aUerchristlichsten Majestät von
Frankreich. Mit starker Anlehnung an den beschriebenen Behang arbeitet das bereits
erwähnte Fragment im Besitze der Münchener Kunsthandlung Julius Böhler (Abb. 63).
Entsprechend den neuantiken Anschauungen wird das Zelt im 17. Jahrhundert durch
den Portikus oder die Säulenhalle ersetzt; am Tympanon prangt das Hoheitszeichen
des Geschlechtes. Die zugefügten Embleme finden zumeist ohne Schwierigkeiten in
dem Wappenspruch, der möglichst wörtlich übersetzt wird, ihre Erklärung. Ein
Teppich des Kardinals Richelieu (f 1642) zeigt das Wappen des berühmten Staats-
mannes als architektonisches Mittelstück an dem Architrave des Säulenganges. Ein
Kompas mit der Legende „Nec momentum sine linea" ist beigegeben. Den Hinter-
grund schließt eine weite Landschaft mit Flußbildern (232). Die kürzlich in der Samm-
lung Raoul Heilbronner aufgetauchten Teppiche aus dem Besitze des Kardinals ver-
körpern das gleiche Prinzip (Abb. 168).
183