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Götz, Rolf
Die Sibylle von der Teck: die Sage und ihre Wurzeln im Sibyllenmythos — Kirchheim unter Teck, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.16141#0012
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Jahrhundert aufgezeichneten, scheinbar „uralten"
Sagen in vielen Fällen vom jeweiligen Zeitgeist, der
schriftlichen Geschichtsüberlieferung und dem li-
terarischen Zeitgeschmack beeinflußt worden sind,
und wir blicken genauer in die Formungsprozesse,
die über Jahrhunderte hindurch zu den heute gän-
gigen Sagen Versionen geführt haben. Manche
„Sage" konnte sogar als ein Kunstprodukt des 19.
Jahrhunderts entlarvt werden.

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit soll deshalb
dem Formungsprozeß der Sage von der Sibylle von
der Teck nachgegangen werden. Dazu wird es not-
wendig sein, alle Zeugnisse von der ersten schrift-
lichen Erwähnung des „Sibyllenlochs" im Jahre
1531 bis zur Entstehung der heute vorliegenden
Sagenversion zusammenzustellen. Im zweiten Teil
werden die Deutungsversuche vorgestellt, die von
der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die unmittel-
bare Gegenwart reichen. Nur auf dieser Grundla-
ge lassen sich Fehldeutungen vermeiden, die da-
durch entstanden, daß weder die ins 16. Jahrhun-
dert zurückreichenden ersten Belege des Namens
„Sibyllenloch" allgemein bekannt waren noch die
Entstehungsgeschichte der Sage hinreichend er-
forscht war. In Unkenntnis des Erstbelegs von 1531
wurde im Jahre 1898 in einem Aufsatz in der
„Schwäbischen Kronik" vermutet, daß der Name
sich von der württembergischen Herzogin Magda-
lena Sibylle (t 1712) herleiten könnte, die ihre
Witwenzeit größtenteils in Kirchheim verbracht
hatte2. Und da nicht bekannt war, daß erst in der er-
sten Hälfte des 19. Jahrhunderts die uns geläufige
Sage von der Sibylle mit ihren drei auf Burgen woh-
nenden Söhnen entstanden ist, konnten noch 1988
von wissenschaftlicher Seite her Vermutungen zur
Entstehungszeit der Sage an die Geschichte der drei
Burgen geknüpft werden3.

In einem dritten Teil wird versucht, neue Überle-
gungen zur Herkunft des Namens „Sibyllenloch"
zu entwickeln. Der neue Ansatz geht vom überre-

gionalen Sibyllenmythos aus und von der Frage,
wie es dazu kommen konnte, in einer Höhle eine
Sibylle anzusiedeln. Dazu muß auf die unterschied-
lichen Bilder eingegangen werden, die man sowohl
im Volk als auch in der gelehrten Welt in der Zeit
um 1500 von den Sibyllen hatte.

Bei der Zusammenstellung der unterschiedlichen
Sibyllenvorstellungen und der Motive, die aus dem
allgemeinen Sibyllenmythos in die Entstehung der
lokalen Sage hineingewirkt haben, ergaben sich
zahlreiche neue Erkenntnisse und Einsichten. In ei-
nem ausführlichen Anhang soll deshalb in ausge-
wählter Form dargestellt werden, wie sich der My-
thos von den Sibyllen von der Antike über das Mit-
telalter bis in die Gegenwart entwickelt hat. Für die
gesamte Darstellung wurde ein Verfahren gewählt,
bei dem so oft wie möglich die Quellen zu Wort
kommen sollen.

Mein besonderer Dank gilt dem Freiburger Histo-
riker Dr. Klaus Graf, ohne dessen Anregungen und
Mithilfe diese Arbeit so nicht hätte geschrieben
werden können. Bedanken möchte ich mich auch
bei dem Nürtinger Höhlenforscher Dr. h.c. Hans
Binder für weiterführende Hinweise, bei Christoph
Bizer, Oberlenningen, für die genaue Durchsicht des
Manuskripts, bei Stadtarchivar Rainer Kilian für die
Bereitschaft, das Werk in die „Schriftenreihe des
Stadtarchivs Kirchheim unter Teck" aufzunehmen,
und bei der Stiftung der Kreissparkasse Esslingen-
Nürtingen für die großzügige finanzielle Unterstüt-
zung bei der Drucklegung. Ein letzter Dank gilt all
denen, die mit Rat und Tat sowie mit Vorlagen für
die Abbildungen zum Gelingen des Werkes beige-
tragen haben.

2 Schwäbische Kronik vom 19. Juli 1898, Nr. 165, S. 1535.

3 Wolfgang Seidenspinner: Sage, Archäologie, Historie. Überlegun-
gen zur Verortung historischer Sagen, in: Das Bild der Welt in der
Volkserzählung. Berichte und Referate des 5.-7. Symposions zur
Volkserzählung, Brunnenburg/Südtirol 1988-1990 (= Beiträge zur
Europäischen Ethnologie und Folklore. Reihe B: Tagungsberichte
und Materialien, Bd. 4, hg. v. L. Petzoldt), 1993, v.a. S. 69 f.

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