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Götz, Rolf
Die Sibylle von der Teck: die Sage und ihre Wurzeln im Sibyllenmythos — Kirchheim unter Teck, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.16141#0079
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re nicht festgelegt hatte, hörte Meier 1852 in Owen
von Pferden, spannte Schönhuth 1861 Drachen vor
den Wagen, aber erst die Ausgrabungen in der
Sibyllenhöhle in den Jahren 1898/99 mit ihren Fun-
den von Höhlenlöwen bzw. -katzen führte zur Vor-
stellung von dem Wagen, der von zwei wilden Kat-
zen gezogen wurde. Mit der für den Schulunterricht
bearbeiteten Fassung, die 1920 vorlag, war der Pro-
zeß der Bildung jener Erzählfassung abgeschlossen,
die wir heute kennen.

Die bisherigen Deutungsversuche

In der Deutung der angeblichen „Volkssage" seit
der Mitte des 19. Jahrhunderts spiegelt sich die
Sagenforschung wider, wie sie sich seit der Roman-
tik entwickelt hat. Die Suche nach dem „histori-
schen Kern" der Sage führte die Forscher weit in die
vorgeschichtliche Zeit zurück. Von Ernst Meier
(1852) bis in die jüngste Zeit war die Meinung vor-
herrschend, daß die Sibylle eine Umdeutung einer
germanischen Göttin sei - seit Gußmann (1899) war
dies Freyja, die Gemahlin Odins. Die Gleichsetzung
mit dem germanischen Feldgeist „Bilwis" - von

Laistner 1879 vorgeschlagen - konnte sich dagegen
nicht durchsetzen. Mit Kapffs 1927 bzw. 1950 vor-
gelegter Datierung in die Zeit der ersten Siedlungs-
funde auf der Teck, also in die Zeit um 1000 v. Chr.,
schien sogar ein Anschluß an urgeschichtliche
muttergottliche Vorstellungen erreicht zu sein. Alle
diese Deutungen gingen von der seit der Mitte des
19. Jahrhunderts bekannten Erzählfassung aus und
berücksichtigten eben nicht den Ausgangspunkt
der Sage, den bereits 1531 belegten Namen
„Sibyllenloch", und die im 16. Jahrhundert belegte
Vorstellung, daß die Höhle einst der Sitz einer Si-
bylle gewesen sei. Allein dieser Ausgangspunkt
sollte eine Rolle spielen, wenn man nach den wirk-
lichen „Wurzeln" der älteren Sage forscht.

Wie der Blick auf die Forschungsgeschichte zeigt,
helfen Spekulationen, die die Herkunft des Namens
in die „graue Vorzeit" verlegen, nicht weiter. Daher
soll hier versucht werden, vom Datum des ersten
Namensbelegs auszugehen und zu untersuchen, ob
sich aus dem, was man sich in der Zeit um 1500
unter einer „Sibylle" vorstellte, ein neuer Er-
klärungsansatz für die Benennung der Höhle erge-
ben kann.

SIBYLLENVORSTELLUNGEN UM 1500

Die Christusweissagerin

Im Jahre 1910 wurden im spätromanischen, kreuz-
rippengewölbten Chor der Pfarrkirche St. Nikolaus
zu Oberwälden im Landkreis Göppingen, einer
Chorturmkirche, Wandmalereien aufgedeckt, die
um 1300 entstanden sind und als die bedeutendsten
in diesem Kreis gelten122. Da im 14. Jahrhundert ein
gotisches Maßwerkfenster in die südliche Chor-
wand eingebrochen wurde, sind nur die Fresken im
Gewölbe und an der nördlichen und östlichen Chor-

wand erhalten geblieben. Der Gewölbeschlußstein
ist mit dem Gotteslamm bemalt. Auf diesen Schluß-
stein scheint die Gesamtkomposition der Ausma-
lung des Gewölbes bezogen zu sein. Es handelt sich
offenbar um eine verkürzte Majestas-Domini-Darstel-
lung, wie Heribert Hummel 1978 in seiner Beschrei-
bung der „Wandmalereien im Kreis Göppingen"
festgestellt hat. Die Gestalt Christi ist nämlich auf
ein Symbol, auf das Gotteslamm, reduziert. Die
Gewölbemalerei stellt dar, wie das Lamm Gottes, das
die Sünden der Welt hinwegnahm, ... der ganzen Welt

122 Vgl. Heribert Hummel: Wandmalereien im Kreis Göppingen (= Veröffentlichungen des Kreisarchivs Göppingen, Bd. 6), Weißenhorn
1978, S. 116 f.

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