Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 43 —

Auch ihre Bildung war durchaus nicht gleichmäfsig.
Zu sehr hatte sie sich von frühester Jugend an alles
selbst erkämpfen müssen, als dafs sie nicht auch später
nur das ergriffen und verarbeitet hätte, was ihrer stark
ausgeprägten Natur congenial war. Sie hatte noch weniger
als ihr Bruder Beruf zur Gelehrsamkeit, und auch die
kleinen Versuche, die sie später hin und wieder machte,
aus fremden Sprachen zu übersetzen, wurden bald bei
Seite geschoben. „Was sie aber wufste und wirklich be-
herrschte", sagt De Quincey, „lag da, wo es nicht ge-
stört werden konnte: im Tempel ihres eigenen, warmen
Herzens." Dem Bruder kam es besonders zu gute, dafs
sie mit ihm die Neigung zum Wandern teilte. Zu jeder
Tages-und Jahreszeit, unbekümmert um Wind und Wetter
war sie bereit, „im rüstigen Wanderkleid" den Bruder
auf langen Spaziergängen zu begleiten. Halb versteckt
erblicken wir sie so in einem anmutigen Gedichte, das
ihre Eigenart doch deutlich wiederspiegelt:
„Im Wald traf ich Luisen heut."1
Mit aller dieser naturwüchsigen, fast trotzigen Wild-
heit vereinigte sie den aufmerksamen, stillen Blick des
Dichters, die tiefe, innige Sympathie, die sie mit dem
kleinsten, unbedeutendsten Leben um sie herum verband.
Zugleich mit dem Bruder kann sie eine halbe Stunde lang
einen Schmetterling beobachten. Mit warmer Zärtlichkeit
schaut sie Tag um Tag dem Nestbau der Schwalben zu
URd ist unglücklich mit ihnen, als das Nest herunterfällt.
Unzählige solcher Züge finden wir in ihren Tagebüchern,
die sie schon in der ersten Zeit des Zusammenlebens mit
dem Bruder begann, „um ihm eine Freude zu machen."

1) Nr. XXXV.
 
Annotationen