Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HOFFNUNG

Rede ist. Welchen Reichtum an Eindrücken birgt aber dafür der
Augenblick in sich, der sich uns darbietet!
Das ist unser Leben, von dem ich Dir geschrieben habe, daß
kein Ereignis daraus etwas Unfertiges, Abgebrochenes machen darf;
diese Weisheit will ich mir bewahren. Zugleich aber will ich sie
mit einer andern Weisheit verbinden, die der Zukunft zugewandt ist,
selbst wenn die Zukunft für uns eine verschlossene Gegend ist. Ja,
nehmen wir von der Gegenwart alles an (und die Gegenwart bringt
uns so viele Schätze!); aber laß uns auch die Zukunft vorbereiten.“
Wenige Wochen, bevor sein Herz erlischt, scheint seine Seele
schon eins zu werden mit dem Geist Gottes, sich aufzulösen in das
All. . . . „Ich für mein Teil habe keine Wünsche mehr. Wenn die
Prüfungen wirklich hart werden, begnüge ich mich damit, recht un-
glücklich zu sein, ohne etwas anderes ins Auge zu fassen.
Wenn sie nachlassen, dann fange ich an zu denken, zu träumen,
und meine teure Vergangenheit erscheint mir mit derselben fernen
Poesie, die in glücklichen Zeiten meine Träumereien fremden Ländern
zuführte. Eine liebgewonnene Straße, gewisse oft besuchte Gegenden
tauchen plötzlich auf, wie früher gewisse Melodien, gewisse Verse
plötzlich traumhafte Inseln, Märchenländer in mir erstehen ließen.
Jetzt braucht es keine Verse oder Melodien; die Lebendigkeit unserer
lieben Erinnerungen genügt.
Ich kann mir nicht einmal mehr vorstellen, wie ein neues Leben
aussehen könnte; ich habe nur die Zuversicht, daß wir Lebendiges
schaffen.
Für wen, für wann? darauf kommt es nicht an. Was ich weiß,
was in meinem tiefsten Innern feststeht, ist, daß die Saat französischen
Denkens aufgehen wird und das Geistesleben unseres Volkes unter
den tiefen Wunden, die ihm geschlagen sind, nicht leiden wird.
Wer sagt uns, daß der Bauernbursche, der Kamerad des gefallenen
Denkers, nicht der Erbe seines Gedankens wird? Keine Erfahrung
vermochte uns diese herrliche Erleuchtung einzugeben. Der Sohn des
Bauern, der einen jungen Gelehrten, einen jungen Künstler hat fallen
sehen, wird vielleicht das unterbrochene Werk wieder aufnehmen; er
wird vielleicht das Glied in der Kette der einen Augenblick gehemmten
Entwicklung sein. Das ist das wahre Opfer: auf die Hoffnung ver-
zichten zu müssen, Fackelträger zu sein. Für das spielende Kind ist
es schön, die Fahne zu tragen; dem Manne muß es genügen zu
wissen, daß die Fahne getragen wird, trotz Allem! Darin bestärkt
mich jeder Augenblick der erhabenen Natur. Jede Minute beruhigt
82
 
Annotationen