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II LEBEN RAPHAEL'S

den Meistern auf die Stelle ankommen, welche sie als Indi-
viduen innerhalb der Bewegung ihrer Zeit einnehmen.

Zur Antiken Kunst setzt den Gelehrten freie Neigung
in ein gewolltes Vefhältniss: er erkennt in ihr eine der rein-
sten Quellen allgemeiner Bildung und sucht für sich und
Andere daraus zu schöpfen: die Moderne Kunst gestattet
solche abgezogene kühle Betrachtung nicht. Es lebt etwas
in ihr, was auf das Leben des neuesten Tages hinweist.
Sie knüpft an die Ereignisse an, von denen die letzten,
die wir heute erleben, in ununterbrochener Abstammung her-
rühren. Wir selber hegen die Fortsetzung der Gedanken der
Jahrhunderte in uns, welche das letzte Jahrtausend unserer
Geschichte bilden. Lionardo, Rapbael, Michelangelo, Dürer
fühlten und arbeiteten und fassten das Leben wie wir selbst
thun würden. Wenn die Antike abgerundeteres, überseh-
bareres, geduldigeres Material liefert, aus dem sich ab-
schliessendere Resultate ziehen lassen, so besitzt die Moderne
Kunst in ihrem Reichthum, ihrer Ausbreitung und in der
Tiefe der Einblicke, welche sie gewährt, den Vorzug, prak-
tischere Belehrung mit ganz anderer Gewalt zu gewähren
als jene.

Längst ist für die politische Geschichte' dieser Unter-
schied ein anerkannter. Die Entwicklung der Antiken Völker
studiren wir als ein in sich selbst seinen Abschluss findendes
ideales Gefüge, die der Modernen als ein bis in die Verwir-
rung der neuesten Tage in offenen Fäden, hineinreichendes
Gewebe, dessen Abschluss und Ende Niemand kennt. Bei
der Antiken Geschichte lassen alle Erscheinungen und Ge-
sichtspunkte sich zusammenfassen, bei der Modernen nicht.
Die Differenzen sind nicht so gross, welche Grote's demo-
kratische Geschichte Griechenlands oder Mommsen's Römi-
sche von den Büchern Anderer scheidet1), die, weil die

') Auffallend, zugleich aber ganz natürlich und dem Fortschritte unseres
politischen Lebens angemessen ist es übrigens', dass auch die antike Ge-
 
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