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EINLEITUNG ÜI

Geschichtsquellen der Alten meistens von aristokratischer
Feder geschrieben wurden, sich, oft ohne sich darüber klar
zu sein, auf aristokratischem Standpunkte befinden. Bei der
Modernen Geschichte wäre diese Objectivität unmöglich.
Wir könnten nicht, auch wenn wir wollten. Nicht allein die
nationale Gründanschauung ergiebt von vorn herein völlig
abweichende Darstellungen, sondern auch die Getheiltheit
unserer Existenz bedingt ungemeine Verschiedenheiten des
Standpunktes. Sogar innerhalb derselben Nation, ja Partei,
ist für den Philosophen, den Theologen, den Soldaten, den
Industriellen dieselbe geschichtliche Entwicklung an gewissen
Cardinalpunkten etwas absolut Verschiedenes.

Diese Gegensätze sind so durchdringend und einschnei-
dend, dass sie sich nicht nur bei der allgemeinen Auffassung
der politischen Ereignisse, sondern bei der Beurtheilung fast
jeder Thatsache' geltend machen, wo sie kaum zur Geltung
kommen zu dürfen scheinen. Wir haben nicht nur eine Ge-
schichte der Reformation vom protestantischen und katholi-
schen, vom deutschen, englischen und französischen Stand-
punkte aus: wir haben eine Anschauung und Bearbeitung
der Modernen Kunst von nationalen und confessionellen An-
sichtspunkten aus. Diesen Widerspruch durch den Willen
aufzulösen, nur von dem Gefühle des Schönen, Guten sich
leiten zu lassen, wäre schon deshalb unmöglich, weil diese
Begriffe aus dem Boden nationaler Eigenthümlichkeit zum
grossen Theile ihren Inhalt empfangen.

Moderne Kunst und Antike Kunst sind in ihrer wissen-
schaftlichen Behandlung deshalb so verschieden wie Moderne
und Antike Litteratur und Politik. Bei den Völkern der alten
Welt sondert sich für unsern Anblick das Individuum so.
wenig als besondere Strömung innerhalb der Fluth des allge-

schichte immer mehr mit moderner Parteileidenschaft geschrieben wird, so
dass bei den Ereignissen, welche die Römische und Griechische Welt beweg-
ten, moderne Beweggründe hertorgehoben werden.

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