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LEBEN EÄPHAEL'S

meinen Meeres der Oeffentlichkeit, dass auch die grössten
individuellen Thaten mehr Thaten des gesammten Volkes als
Einzelner erscheinen. Der Einzelne ist unmittelbares Werk-
zeug des nationalen Geistes. Homer verfliesst mit seiner
Epoche, Phidias' meisselführende Hände scheinen weniger die
eines besondern Mannes, als die des gesammten Athenischen
Volkes seiner Generation gewesen zu sein, und selbst die
Späteren, Horaz, Catull und Juvenal, scheinen nur Namen
für ganze Schichten des kaiserlichen Roms in verschiedenen
Epochen und Stimmungen. Walter von der Vogelweide aber
singt wie ein einsamer Reiter, der durch den Wald reitet,
Dürer sitzt still und abgetrennt von der Welt in seinem
Atelier, Michelangelo weiss nichts von Freunden, oder von
Zeiten die dem Betriebe der Kunst günstig seien, während
Lionardo ebenso verlassen und fremd nach Frankreich geht,
von Florenz fort, wie Dante einstmals. Unsere Modernen
Künstler, selbst die welche vom öffentlichen Leben getragen
werden wie Raphael, Rubens, Bernini, haben etwas so sehr
in sich Beschlossenes, dass ihre Werke nur von der höchsten
Höhe betrachtet Producte ihrer Epoche und ihrer Nationen
erscheinen, während sie bei näherem Herantreten jeder eine
Welt für sich bilden, deren Organismus zu ergründen unsere
Aufgabe ist. Unsere Zeit ist begierig nach dem Individuellen.
Nichts reizt sie mehr, als einzudringen in die Geheimnisse
des geistigen Schaffens einer bedeutenden Persönlichkeit.
Und auf keinem Gebiete findet dieser Trieb so volle Befrie-
digung als auf dem der Geschichte der Bildenden Kunst. Ich
halte dies für einen der Gründe, aus denen das allgemeine
Interesse für Geschichte der Kunst, vorzüglich aber für Ge-
schichte der Künstler, immer mehr zunimmt. Wir haben ein
Bedürfniss, Ehrfurcht zu hegen vor grossen Männern. Wach-
sende Erkenntniss, welche die letzten Jahre uns gebracht
haben, lässt in immer bedeutenderem Maasse für unsere Blicke
Abhängigkeit und Nachahmung da hervortreten, wo wir vor
 
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