286 LEBEN RAPHAEL'S
Die Erzählung klänge insofern etwas unwahrscheinlich,
als Raphael bereits in Florenz ein so guter Kenner der Per-
spective war, dass er Fra Bartolommeo darin unterwies, ein
Lob, welches sowohl der Tempel, der den Hintergrund der
Vermählung Mariae bildet, als seine späteren ausgeführten
architektonischen Arbeiten bestätigen. Für Bramante aber
spricht das Aussehn der Architectür jedoch. Es ist behauptet
worden, in ihr sei die 1506 durch Bramante neubegonnene Pe-
terskirche dargestellt, und ein Vergleich bestätigt diese Be-
hauptung. Bekanntlich ist der jetzige Centralbau sammt der
Bogenverbindung der vier Hauptpfeiler sein Werk, so dass
eine Abbildung der heutigen Kirche, mit Abrechnung alles
kleinlichen Ornamentalwerks späterer Zeit, zum Vergleichen
benutzt werden kann. Natürlich muss auch auf der Schule
von Athen alles das abgerechnet werden, was dem Bauwerke
den Character eines Sitzes der Philosophie verleihen sollte:
die Statuen des Apollo und der Minerva, sowie die Bas-
reliefs darunter.
Die Statue des Apoll ist von der grössten Schönheit.
Hoch genug, um menschlichem Betasten unerreichbar zu blei-
ben, ist die Malerei frei von aller Restauration. Marc Anton's
Stich danach ist eins seiner schönsten Blätter. Raphael hat
eine Antike vor Augen gehabt, die er nach seiner Weise
umformte. An sich betrachtet hat die Figur nichts Anti
kes; ebensowenig der Kopf, der wie aufgesetzt aussieht, den
Typus eines Apollo x). Noch weniger ist die Minerva gegen
über antik gehalten. Und doch, wie sehr Raphael nachträg-
') Der Kopf ist etwas zu klein und steckt in den Schultern. Nun
bemerke man, dass er zugleich dicht an den oberen Band des Gemäldes
stösst. Es scheint, dass der Raum zu gering war und dass Raphael ein-
fach den Kopf so lange verkleinerte, bis er passte. Dasselbe hat er gegefl'
über bei der Minerva gethan, deren rechter Arm, richtig gezeichnet, »ie
ihn die Skizze zeigt, zuweit aus der Nische herausgekommen wäre. Ka*
phael hat ihn deshalb verkürzt. Marc Anton's Stich giebt Apollo ohne die-
sen verkleinerten Kopf.
Die Erzählung klänge insofern etwas unwahrscheinlich,
als Raphael bereits in Florenz ein so guter Kenner der Per-
spective war, dass er Fra Bartolommeo darin unterwies, ein
Lob, welches sowohl der Tempel, der den Hintergrund der
Vermählung Mariae bildet, als seine späteren ausgeführten
architektonischen Arbeiten bestätigen. Für Bramante aber
spricht das Aussehn der Architectür jedoch. Es ist behauptet
worden, in ihr sei die 1506 durch Bramante neubegonnene Pe-
terskirche dargestellt, und ein Vergleich bestätigt diese Be-
hauptung. Bekanntlich ist der jetzige Centralbau sammt der
Bogenverbindung der vier Hauptpfeiler sein Werk, so dass
eine Abbildung der heutigen Kirche, mit Abrechnung alles
kleinlichen Ornamentalwerks späterer Zeit, zum Vergleichen
benutzt werden kann. Natürlich muss auch auf der Schule
von Athen alles das abgerechnet werden, was dem Bauwerke
den Character eines Sitzes der Philosophie verleihen sollte:
die Statuen des Apollo und der Minerva, sowie die Bas-
reliefs darunter.
Die Statue des Apoll ist von der grössten Schönheit.
Hoch genug, um menschlichem Betasten unerreichbar zu blei-
ben, ist die Malerei frei von aller Restauration. Marc Anton's
Stich danach ist eins seiner schönsten Blätter. Raphael hat
eine Antike vor Augen gehabt, die er nach seiner Weise
umformte. An sich betrachtet hat die Figur nichts Anti
kes; ebensowenig der Kopf, der wie aufgesetzt aussieht, den
Typus eines Apollo x). Noch weniger ist die Minerva gegen
über antik gehalten. Und doch, wie sehr Raphael nachträg-
') Der Kopf ist etwas zu klein und steckt in den Schultern. Nun
bemerke man, dass er zugleich dicht an den oberen Band des Gemäldes
stösst. Es scheint, dass der Raum zu gering war und dass Raphael ein-
fach den Kopf so lange verkleinerte, bis er passte. Dasselbe hat er gegefl'
über bei der Minerva gethan, deren rechter Arm, richtig gezeichnet, »ie
ihn die Skizze zeigt, zuweit aus der Nische herausgekommen wäre. Ka*
phael hat ihn deshalb verkürzt. Marc Anton's Stich giebt Apollo ohne die-
sen verkleinerten Kopf.