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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0035
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Der „antike" Kupido

gierung der Stadt aber und seine römischen Freunde eine Aufhebung des Verbotes erlangt. Man
hatte gehofft, daß er sich mäßigen werde, aber das war wenig gewesen, was er bis dahin gesagt,
rückhaltlos gab er sich jetzt dem Drange hin, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen,
und bezeichnete deutlicher die letzten Konsequenzen seiner Lehre. Ich frage dich, Rom, ruft er,
wie es möglich sein kann, daß du noch auf dem Boden der Erde dastehst? Elftausend Kurtisanen
in Rom, sei noch zu tief gegriffen. Nachts wären die Priester bei diesen Frauen, morgens
darauf läsen sie die Messe und teilten die Sakramente aus. Alles sei in Rom käuflich, alle Stellen
und Christi Blut selber für Geld zu haben. Er stehe da und fürchte sich nicht. Seine Feinde
und Angeber möchten nur berichten, was er gesprochen habe; er sei ein Feuer, das sich nicht
löschen ließe.
Vieles sei eingetroffen von dem, was er vorausgesagt habe, aber das sei das wenigste. Rom
und Italien würden bis auf die Wurzeln vernichtet werden, furchtbare Rächerbanden würden
sich über das Land ergießen und den Hochmut der Fürsten bestrafen; die Kirchen, die von
Ihren Priestern zu öffentlichen Häusern der Schande erniedrigt wären, würden die Ställe der
Pferde und des unreinen Viehes sein; Pest und Hungersnot würden kommen — so donnert
er los am vierten Morgen der Fasten, in einer Predigt, die heute noch einen aufregenden Ein-
druck macht.
Wir wissen nicht, in welchem Maße Michelangelo sich diesen Stimmungen hingab, wohl
aber, daß er zu Savonarolas Anhängern gehörte. In hohem Alter noch studierte er seine Schriften
und erinnerte sich der starken Stimme, mit der er gepredigt. Als im Jahre 1495 der Saal für
das Consiglio grande im Palaste der Regierung auf Savonarolas Drängen ausgebaut zu werden
begann, war Michelangelo unter denen, die dabei zu Rate gezogen wurden. Die Sangalli, Baccio
d'Agnolo, Simone del Pollaiuolo und andere bildeten diese Kommission. Simone del Pollaiuolo,
bekannter unter dem Namen Cronaca, erhielt den Bau, Fra Bartolommeo übernahm das Ge-
mälde für den im Saale errichteten Altar, lauter Anhänger Savonarolas und Michelangelo
mitten unter ihnen. Am 15. Juli wurde Cronaca erwählt. Dieses Datum gibt zugleich einen
Anhaltspunkt für Michelangelos Rückkehr aus Bologna. Er mußte in Florenz gerade wieder
angekommen sein, als er bei dieser Angelegenheit beteiligt wurde.
Trotzdem blieb er immer noch weltlich genug gesinnt, um den Kupido zu arbeiten. Im April Der Kupido
oder Mai 1496 hatte er ihn vollendet. Medici war entzückt von der Arbeit und gab ihm an, Michelan^e1°s
auf welche Weise der beste Preis dafür zu erzielen sein würde. Er möge dem Stein das Ansehen
geben, als hätte er lange in der Erde gelegen. Er selber wolle ihn darauf nach Rom schicken,
wo er als eine Antike hoch bezahlt werden würde. Man sieht, daß den Medici trotz ihrer Vor-
nehmheit der Kaufmannsgeist nicht verlorengegangen war. Lorenzo bewährte das noch bei
anderen Gelegenheiten. Er verstand die in Florenz eintretende Teuerung wohl zu benutzen, in-
dem er aus der Romagna Korn kommen ließ und daran ein Erkleckliches verdiente.
Michelangelo ging auf den Vorschlag ein, gab dem Marmor ein verwittertes, uraltes Aus-
sehen und empfing bald durch Lorenzo den Bescheid, daß ihn der Kardinal von San Giorgio,
jener selbe Raphael Riario, der in Florenz die Messe las als Giuliano von den Pazzi ermordet
wurde, für dreißig Dukaten angekauft habe. Messer Baldassare del Milanese, durch dessen
Vermittelung in Rom der Handel abgeschlossen war, ließ Michelangelo die Summe in Florenz
auszahlen, welche diesem demnach als ein vernünftiger Preis erschienen sein muß.
Das Geheimnis aber von der wirklichen Entstehung der Antike wurde nicht bewahrt. Dem Michelangelo
Kardinal kam allerlei zu Ohren; er ärgerte sich, betrogen zu sein, und schickte einen der ihm nach R°™
dienenden Edelleute nach Florenz, um der Sache auf den Grund zu kommen. Dieser nahm den

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