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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0040
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Michelangelos erste Jahre in Rom
Indessen, die Brüder Pollaiuolo waren nicht die Männer, ihn künstlerisch auf eine höhere
Stufe zu heben. Dagegen lernt er in Rom jetzt die Arbeiten zweier Meister kennen, deren Art
und Weise weit abliegt von der Auffassung der florentinischen Kunst, und deren Werke nicht
ohne Einfluß auf ihn bleiben konnten, Mantegna und Melozzo da Forli.
Mantegna Mantegna gehörte zu den Allerersten. Eine Tiefe der Empfindung liegt in seinen Bildern,
ein Adel in seinen Linien, daß man sogleich fühlt, er sei kein Mann, der übertroffen oder nach-
geahmt werden könne, wohl aber eine Natur, deren belebenden Einfluß jeder empfinden mußte,
der von ihr berührt zu werden fähig war. Mantegna lebte in Mantua, wo die Gonzaga seine
Gönner waren. Er kam während der achtziger Jahre nach Rom. Die Kapelle, die er für den
Papst ausmalte, ist heute nicht mehr vorhanden, aber man darf annehmen, daß diese Arbeit, zu
der er eine Reihe von Jahren brauchte, nicht geringer gewesen sei als die übrigen. Während
in Florenz die Einwirkung der Antike auf die Kunstanschauung nicht von ersichtlicher Stärke
war, sondern die freie Bewegung des Lebendigen, Natürlichen die Quelle blieb, aus der man
schöpfte, gestattete Mantegna dem Stil der antiken Meister auffallenden Einfluß, setzte ihrer
Kraft aber eine so entschiedene Eigentümlichkeit entgegen, daß auch hier von Nachahmung
keine Rede sein kann. Seine Farbengebung ist einfach, beinahe kalt, und ordnet sich durchaus
der Zeichnung unter, diese Zeichnung aber läßt die Gestalten so durchdringend zur Erscheinung
kommen, daß sie fast eine typische Gewalt empfangen. Man meint, es sei nicht möglich, eine
Szene anders aufzufassen, als er getan. Wenn man vor dem vom Kreuze genommenen Christus
steht, den wir von seiner Hand in Berlin besitzen, so scheint das Gefühl des grausamsten Todes,
der dennoch eine lächelnde himmlische Ruhe zurückließ, erschöpft zu sein durch die Kunst
des Meisters, und kein Gedanke bleibt übrig an andere Künstler, denen es besser hätte gelingen
können und die noch tiefer in unsere Seele drängen. Mantegna ist befangen in einer gewissen
Steifheit, die erst Leonardo und Michelangelo überwanden, von denen beiden dann Raffael
die glücklich errungene Freiheit empfing. Das aber verhindert nicht, Mantegna mit jenen
drei in eine Reihe zu stellen. Und so wurde auch von Anfang an in Italien geurteilt.
Melozzo da Melozzo da Forli reicht nicht an Mantegna heran in dem, was er leistete, in dem aber,
F°'" was er leisten wollte, übertrifft er vielleicht alle Künstler vor Michelangelo. Es sind nur
wenige von seinen Werken übriggeblieben, und von den größten nur geringe Bruchstücke.
Forli, sein Geburtsort, liegt in der Romagna, nicht weit von Urbino, wo Giovanni Santi,
Raffaels Vater lebte. Dieser, ein genauer Freund Melozzos, zeigt dieselben strengen Formen
in seinen Bildern, denselben erdigen Ton, der mehr auf Mantegna als auf die florentiner
Schule hinweist. Die Romagna, durch das Gebirge von Toskana getrennt, empfing aus dem
Norden größere Anregung als vom Nachbarlande. Forli gehörte dem Grafen Girolamo Riario,
dem Neffen des Papstes Sixtus. Durch ihn wurde Melozzo nach Rom gebracht. Die Ernennung
zum Maler des Papstes folgte, endlich die Erhebung in den Ritterstand. Dazu ein reiches Gehalt
und großartige Aufträge. Es befindet sich ein Bild von ihm im Vatikan, das den Papst umgeben
von seinen Neffen darstellt. Es sind dieselben, die mit den Pazzi Lorenzo dei Medici ermorden
wollten; gerade in jenen Zeiten malte sie Melozzo. Unter ihnen auch der Kardinal Vincula,
jung und unbärtig. Der Papst selber im Profil, ein scharfes, volles Gesicht, der Mann, der den
Italienern Respekt einflößte, weil er seine Familie so energisch in die Höhe brachte. Das Haupt-
werk Melozzos, eine Himmelfahrt Christi, die ehedem die Altarwand der Kirche San Apostoli
einnahm, ist heute zerstört, und nur einzelne Stücke, die in der Sakristei von Sankt Peter und
im Lateran aufbewahrt werden, gewähren eine Idee der grandiosen Zusammenstellung kolossaler
Figuren, aus denen das Gemälde bestand. Diesen Gestalten wüßte ich, was die Kühnheit der

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