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1 Sphaerozoum beobachtete. Er stellt dieselben als eine eigene, den Nostochinen unter den Pflanzen
entsprechende Thierfamilie: Palmellaria auf, welche mit einer andern (durch Acrochordium album re-
präsentirten) Familie: Polypozoa1) zusammen eine neue Thierklasse: Agastrica2) bildet. Die Charak-
teristik der Familie der palmellenartigen Thiere lautet: „Palmellaria. Mehr oder weniger rund gestaltete
Thiere, die aus einer schleimig gallertartigen Masse bestehen, in deren Innerem kleine, gleichmässig grosse
Bläschen enthalten sind, durch welche die Fortpflanzung nach der Art wie bei den Nostochinen ge-
schieht. Die Bewegung entsteht durch Zusammenziehung der Oberfläche des Thieres.” Meyens
Beschreibung der beiden, die Palmellarien constituirenden Gattungen wird unten, bei Physematium
und bei Sphaerozoum, angeführt werden. Sie ist sehr unvollkommen und nur zum Theile richtig.
Die Angaben über Bewegung und Formveränderung durch Contraction der gesammten Oberfläche
der Thiere, ebenso die Angaben über die Fortpflanzung haben sich nicht bestätigt. Dagegen ist
hervorzubeben, dass die Spbaerozoen als „kugelförmige Aggregate von Individuen von Physematien“
bezeichnet werden und dass auch die Spicula im Innern der Gallerte von Sphaerozoum, als „Krystalle,
die wahrscheinlich aus reiner Kieselerde bestehen“, erwähnt, und mit den im Innern von Hydrurus
(aus der Familie der Nostochinen) abgelagerten Krystallen verglichen werden. Diese letzteren sind
wirkliche Krystalle, und zwar aus Kalkspath. Die Spicula der Sphaerozoen sind aber, wie Müller
richtig bemerkt, gleich denen der Schwämme, keine Krystalle, sondern „organische Skeletbildungen
aus einem anorganischen Körper“.
Meyens Beobachtungen über Physematium und Sphaerozoum blieben lange Zeit das Einzige,
was man von lebenden Radiolarien wusste, und da keine weiteren Mittheilungen von anderen Seiten
erfolgten, welche sie bestätigen und erweitern konnten, wurden sie wenig berücksichtigt. Erst 17
Jahre später folgen Iluxleys Beobachtungen über die Thalassicollen und ungefähr um dieselbe Zeit
erst wurde auch Müller auf diese Thiere aufmerksam. Dagegen wurden in der Zwischenzeit eine
grosse Menge fossiler Skelete aus verschiedenen Radiolarien-Familien durch Ehrenberg, der sie
als Polycystinen beschrieb, bekannt, ohne dass irgend Jemand einen Zusammenhang derselben mit den
nahverwandten Sphaerozoen geahnt hätte.
Die ersten Mittheilungen Ehrenbergs über Polycystinen, aus dem Jahre 1838, finden sich in
seiner Abhandlung „Ueber die Bildung der Kreidefelsen und des Kreidemergels durch unsichtbare
Organismen“3), in der er seine Ansichten über die systematische Stellung der Polythalamien, als einer,
den Flustren, Escharen, Alcyonellen nächstverwandten Ordnung der Bryozoen auseinandersetzt4). Am
Schlüsse derselben heisst es (p. 117): „Neben den fossilen mikroskopischen Organismen der Kreide-
mergel Siciliens linden sich zwischen den Infusorienschalen mehrere Formen, welche der Gestalt
>) Ausser Acrochordium album Meyens wird zur Familie der polypenartigen Thiere noch Lamarks Gattung Anguinaria
(Actca Lamouroux, Sertularia anguina L.) gerechnet.
2) „Agastrica. Thiere ohne Magen. Thiere von vielfach verschiedener Form, aber gleichmässiger Struetur. Sic
sind ohne alle Fresswerkzeuge und überhaupt ohne alle besondern Verdauungsorgane. Sie zeigen gänzlichen Mangel eines
Nervensystems und aller Sinnesorgane; doch tritt bei einigen Bewegung der Säfte auf. Einige leben schwimmend im Wasser;
andere sitzen mit einem wurzelartigen Organe auf fremden Körpern auf. Ihre Bewegungen bestehen in Contractionen der Ober-
fläche, wodurch die frei schwimmenden Thiere sich fortbewegen. Die Fortpflanzung geschieht durch einfache Keime, die sich
im Innern ihrer Substanz befinden.” Ibid. p. 283 (159).
3) Abhandl. der Berlin. Akacl. 1838.
*) Die Characteristik der Bryozoen oder Mooskorallen lautet: „Pulslose Thiere mit einfach sackförmigem oder
schlauchförmigem Ernährungscanale, ohne wahre oder mit wahrer, sich vermehrender Körpergliederung, mit (durch zunehmende
Gliederzahl oder Knospenbildung) veränderlicher Körperform und ohne Selbsttheilung; ferner mit periodisch in sehr vielen,
wahrscheinlich in allen Individuen vorhandener Eibildung, un(j daher vermuthlichem Hermaphroditismus. Ordo I. Poly thalamia,
Schnörkelkorallen. Libere vagantia et loricata. A. Monosomatia. B. Polysomatia.“ Wir geben diese, sowie die in den fol-
genden Anmerkungen und im Texte mitgetheilten systematischen Erklärungen Ehrenbergs und seine Charakteristiken der
Klassen, Familien und Gattungen mit Absicht vollständig und wörtlich wieder, da wir wegen seiner abweichenden Ansichten
über die Organisation der Polycystinen und der nahverwandten Polythalamien, die er bis heute unverändert festhält, unten mehr-
fach darauf zurückkommen müssen.
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1 Sphaerozoum beobachtete. Er stellt dieselben als eine eigene, den Nostochinen unter den Pflanzen
entsprechende Thierfamilie: Palmellaria auf, welche mit einer andern (durch Acrochordium album re-
präsentirten) Familie: Polypozoa1) zusammen eine neue Thierklasse: Agastrica2) bildet. Die Charak-
teristik der Familie der palmellenartigen Thiere lautet: „Palmellaria. Mehr oder weniger rund gestaltete
Thiere, die aus einer schleimig gallertartigen Masse bestehen, in deren Innerem kleine, gleichmässig grosse
Bläschen enthalten sind, durch welche die Fortpflanzung nach der Art wie bei den Nostochinen ge-
schieht. Die Bewegung entsteht durch Zusammenziehung der Oberfläche des Thieres.” Meyens
Beschreibung der beiden, die Palmellarien constituirenden Gattungen wird unten, bei Physematium
und bei Sphaerozoum, angeführt werden. Sie ist sehr unvollkommen und nur zum Theile richtig.
Die Angaben über Bewegung und Formveränderung durch Contraction der gesammten Oberfläche
der Thiere, ebenso die Angaben über die Fortpflanzung haben sich nicht bestätigt. Dagegen ist
hervorzubeben, dass die Spbaerozoen als „kugelförmige Aggregate von Individuen von Physematien“
bezeichnet werden und dass auch die Spicula im Innern der Gallerte von Sphaerozoum, als „Krystalle,
die wahrscheinlich aus reiner Kieselerde bestehen“, erwähnt, und mit den im Innern von Hydrurus
(aus der Familie der Nostochinen) abgelagerten Krystallen verglichen werden. Diese letzteren sind
wirkliche Krystalle, und zwar aus Kalkspath. Die Spicula der Sphaerozoen sind aber, wie Müller
richtig bemerkt, gleich denen der Schwämme, keine Krystalle, sondern „organische Skeletbildungen
aus einem anorganischen Körper“.
Meyens Beobachtungen über Physematium und Sphaerozoum blieben lange Zeit das Einzige,
was man von lebenden Radiolarien wusste, und da keine weiteren Mittheilungen von anderen Seiten
erfolgten, welche sie bestätigen und erweitern konnten, wurden sie wenig berücksichtigt. Erst 17
Jahre später folgen Iluxleys Beobachtungen über die Thalassicollen und ungefähr um dieselbe Zeit
erst wurde auch Müller auf diese Thiere aufmerksam. Dagegen wurden in der Zwischenzeit eine
grosse Menge fossiler Skelete aus verschiedenen Radiolarien-Familien durch Ehrenberg, der sie
als Polycystinen beschrieb, bekannt, ohne dass irgend Jemand einen Zusammenhang derselben mit den
nahverwandten Sphaerozoen geahnt hätte.
Die ersten Mittheilungen Ehrenbergs über Polycystinen, aus dem Jahre 1838, finden sich in
seiner Abhandlung „Ueber die Bildung der Kreidefelsen und des Kreidemergels durch unsichtbare
Organismen“3), in der er seine Ansichten über die systematische Stellung der Polythalamien, als einer,
den Flustren, Escharen, Alcyonellen nächstverwandten Ordnung der Bryozoen auseinandersetzt4). Am
Schlüsse derselben heisst es (p. 117): „Neben den fossilen mikroskopischen Organismen der Kreide-
mergel Siciliens linden sich zwischen den Infusorienschalen mehrere Formen, welche der Gestalt
>) Ausser Acrochordium album Meyens wird zur Familie der polypenartigen Thiere noch Lamarks Gattung Anguinaria
(Actca Lamouroux, Sertularia anguina L.) gerechnet.
2) „Agastrica. Thiere ohne Magen. Thiere von vielfach verschiedener Form, aber gleichmässiger Struetur. Sic
sind ohne alle Fresswerkzeuge und überhaupt ohne alle besondern Verdauungsorgane. Sie zeigen gänzlichen Mangel eines
Nervensystems und aller Sinnesorgane; doch tritt bei einigen Bewegung der Säfte auf. Einige leben schwimmend im Wasser;
andere sitzen mit einem wurzelartigen Organe auf fremden Körpern auf. Ihre Bewegungen bestehen in Contractionen der Ober-
fläche, wodurch die frei schwimmenden Thiere sich fortbewegen. Die Fortpflanzung geschieht durch einfache Keime, die sich
im Innern ihrer Substanz befinden.” Ibid. p. 283 (159).
3) Abhandl. der Berlin. Akacl. 1838.
*) Die Characteristik der Bryozoen oder Mooskorallen lautet: „Pulslose Thiere mit einfach sackförmigem oder
schlauchförmigem Ernährungscanale, ohne wahre oder mit wahrer, sich vermehrender Körpergliederung, mit (durch zunehmende
Gliederzahl oder Knospenbildung) veränderlicher Körperform und ohne Selbsttheilung; ferner mit periodisch in sehr vielen,
wahrscheinlich in allen Individuen vorhandener Eibildung, un(j daher vermuthlichem Hermaphroditismus. Ordo I. Poly thalamia,
Schnörkelkorallen. Libere vagantia et loricata. A. Monosomatia. B. Polysomatia.“ Wir geben diese, sowie die in den fol-
genden Anmerkungen und im Texte mitgetheilten systematischen Erklärungen Ehrenbergs und seine Charakteristiken der
Klassen, Familien und Gattungen mit Absicht vollständig und wörtlich wieder, da wir wegen seiner abweichenden Ansichten
über die Organisation der Polycystinen und der nahverwandten Polythalamien, die er bis heute unverändert festhält, unten mehr-
fach darauf zurückkommen müssen.
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