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Wilke, Erich [Hrsg.]; Mal- und Zeichen-Unterricht GmbH <Berlin> [Hrsg.]; Meru, Johannes [Mitarb.]
Handbuch und Lehrkursus für die Kunst des Zeichnens und Malens (Band 4): Das Karikaturzeichnen: mit 130 einfarbigen und farbigen Abbildungen und 66 Tafeln — Braunschweig, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.23974#0012
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„Das Groteske ist immer von phantastischer Art, phantastisch aber ist jede Gestaltung,
die aus einer ins Charakteristische bis zur Eigensinnigkeit gesteigerten Phantasie hervor-
gegangen ist."

Die Einbeziehung der Groteske in das Gebiet der Karikatur, deren Berechtigung durch
unsere Definition des Begriffes Karikatur wohl klar genug geworden ist, ist auch der Fach-
ästhetik nicht fremd. So sagt z.B. Volkelt, einer der bedeutendsten Ästhetiker: „Man
kann alles Groteske als Karikatur im weitesten Sinne ansehen. Denn das Groteske besteht
im Verzerren der Steigerung, in Übertreibung des Charakteristischen bis zur Verzerrung.
Eben darin liegt auch das Wesen der Karikatur."

Aus diesen theoretischen Erörterungen ist es klar geworden, daß die drei Arten der
Karikatur sich wohl durch das Gegenständliche der Darstellung ihres Inhalts, durch das
Gebiet, das sie umfassen, unterscheiden, ebenso auch durch die geistige Einstellung. Doch
eins haben sie gemeinsam, und dadurch sind sie eine höhere Einheit, sie gehören zum
selben Gebiet im weiten Bereich der Kunst, das ist ihre künstlerische Darstellungsform
oder Ausdrucksweise: die gewollte Übertreibung.

1. Kapitel

DIE ENTWICKLUNG DER KARIKATUR
BIS ZUR MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS

Bevor wir zu den praktischen Anweisungen kommen, dürfte es ganz lehrreich sein,
Geschichte einen kurzen Gang durch die Geschichte der Karikatur zu machen, um an der
Karikatur ]yjannjgfaltigkeit der Beispiele einen Überblick zu gewinnen von der Vielseitigkeit dieses
großen Gebietes. Wir können uns dabei natürlich nicht allzuweit auf die Darstellung histo-
rischer Entwicklung, kulturgeschichtlich oder politisch bedingter Erscheinungen einlassen.
Die Karikatur steht zwar in so engem Zusammenhang mit dem ganzen Leben, daß ein
Herausgehen aus diesen verschiedenartigen Zusammenhängen und das Betonen des rein
Künstlerischen eine Einseitigkeit ist, die ihrer vollen Bedeutung nicht gerecht werden kann.
Aber unsere Aufgabe ist hier eine andere, und es gibt Bücher, z.B.: Eduard Fuchs, „Die
Karikatur der europäischen Völker", die denjenigen, die die kulturgeschichtliche Bedeutung
kennenlernen wollen, die gewünschten Kenntnisse vermitteln können.

Wann die ersten Karikaturen entstanden sind, wird uns nie mit Sicherheit festzustellen
möglich sein. Vieles in primitiver Kunstübung, was bei dem oberflächlichen Beschauer
wegen der Übertreibung seiner Darstellungsformen den Eindruck erwecken könnte, als
seien hier Karikaturen gegeben, verdankt seine Entstehung einem so anders gearteten
Kunstwollen, daß von einer Karikatur nicht die Rede sein kann, wenn auch die Ausdrucks-
mittel zum Teil demselben Prinzip entspringen: Betonen des Wesentlichen auf Kosten des
Unwesentlichen. Einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiete der Kunst, E. Große,
sagt darüber: „Wie die Zeichnungen der Kinder, so werden auch die Zeichnungen der
Primitiven häufig für Karikaturen gehalten, und in dem einen Falle ist diese Auffassung
gewöhnlich ebenso falsch wie in dem anderen. Wenn ein Kind oder ein Australier in der
Darstellung irgendeinen Teil des Körpers oder des Anzuges unverhältnismäßig hervorhebt,
so bedeutet dies — vorausgesetjt, daß es nicht aus Ungeschick, sondern aus Absicht ge-
schehen ist — zunächst nichts weiter, als daß derselbe dem Zeichner aus irgendeinem Grunde

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