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Hartlaub, Gustav Friedrich
Das ewige Handwerk im Kunstgewerbe der Gegenwart — Berlin, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.19124#0010
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gegeben werden muß, daß die Erfindung und industrielle Ausnutzung der
Maschinen nicht nur die ganze technische Apparatur und die ungezählten Möglich-
keiten der Massenherstellung, des Welthandels usw. um uns erstellte, sondern
auch die ganze soziale, ökonomische, weltpolitische Umlagerung der westlichen
Menschheit seit 100 Jahren erst möglich machte, so meinen doch viele, damit
habe es sein Bewenden und der Mensch sei trotz des veränderten Lebensstils im
„Inneren", ja überhaupt in seiner persönlich-privaten Sphäre wesentlich derselbe
geblieben. So gewiß nun auch die Elemente der Menschennatur unabänderlich
bleiben —• nur ihre Lagerung, ihr Kräfteverhältnis wechselt —, so sehr verkennen
doch jene konservativen Beurteiler, daß „Stahl" statt „Eisen", Maschine statt
Werkzeug und Vorrichtung, erst möglich geworden sind durch den Menschen
selbst: daß also erst der Mensch sich wandeln mußte, bevor er seelisch in der Lage
war, die Maschine zu erfinden.

Die Welt der Formen, die die moderne Technik im Stahl-Zeitalter um uns
als eine „zweite Natur" hervorrief, unterscheidet sich in ihrer Erscheinung grund-
sätzlich von den naturgemäßen Formen der vortechnischen Epoche. Alle einst
von uns veranlaßten sichtbaren Gestalten — Haus, Hausrat, Vorrichtung, Werk-
zeug jeder Art — trugen ein Gepräge, das sich durch die Form des natürlichen
Vorkommens der Werkstoffe, durch die Spuren einfacher Werkzeuge und mecha-
nischer Vorrichtungen, vor allem aber durch die beseelte Hand kennzeichnete,
die diese Werkzeuge benutzte, diese Werkstoffe verwandte. Darum waren sie
„handwerklich", und das heißt nichts anderes als organisch-menschengemäß:
Ausdruck des Menschlichen, dem das Natürliche draußen entspricht. Nur so
empfand man sie als „schön". Heute sind zunächst die Maschinen, die Apparate
selbst, wie sie uns auf Schritt und Tritt umgeben lind wie sie früher überhaupt
nicht existiert haben, von jener exakten, mathematisch präzisen Gleichmäßig-
keit, die man lange Zeit nicht als formschön anzusprechen wagte, eben weil ihr
Material nicht naturgewachsen, ihre Gestalt nicht handwerklich-lebendig, nicht
menschengemäß erschien. Unsere Häuser — als reine Stein- und Holzarchitektur
noch immer „naturgemäß" und aus natürlichen Urelementen, den einzelnen
„handlichen" Steinen aufgebaut, in ihrer Statik und Ästhetik demgemäß natürlich
und menschenmäßig zugleich — sind heute oft aus lauter künstlichen Stoffen,
aus Glas, Stahl, Zement, Beton, aus großen „unhandlichen" Blöcken nicht gebaut,
sondern gegossen, erstellt, montiert. Bei Großbauten handelt es sich oft nicht
mehr um ein „Gebäude", um Architektur im engeren Sinne, sondern um eine
Ingenieurkonstruktion, in deren Formen und Verhältnisse eine menschliche „Ein-
fühlung" im Sinne der alten Ästhetik gar nicht möglich ist.

Die Maschine, von anderen Maschinen erzeugt, der Hausrat, schließlich auch
das Haus von der Maschine erzeugt, auch sie sind „Ausdruck", —- aber nicht für
natürliche, seelenhafte Kräfte, sondern für jene erfundenen, „indirekten Ener-
gien", die man früher nicht ahnte, die sich nicht anboten, um des Menschen Hand
zu unterstützen, sondern die er künstlich konstruierte und die nun seine „Hand-
reichung" beinahe überflüssig machen. Es ist die dynamisch-technoide Form:
eine vollständig neue, nie bisher gesehene Form, die mit der starren, kristallinischen
Wirkung der alten Ägypter und des frühen Mittelalters, mit der menschlich-

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