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Hartlaub, Gustav Friedrich
Das ewige Handwerk im Kunstgewerbe der Gegenwart — Berlin, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.19124#0009
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FÜR UND WIDER DAS „EWIGE HANDWERK"

Der Mitarbeiterin Hanna Hronberger-Frentzen

I.

Das Eisen, dessen Gewinnung und Bereitung der Wissenschaft den Namen der
letzten großen Kulturepoche gab, der „Eisenzeit", in welche die Menschheit hier
früher, hier später eingetreten ist: es wird einer Geschichtsschreibung späterer
Jahrtausende nicht mehr charakteristisch erscheinen für eine Stufe materieller
Kultur, die sich schon zeitig in einzelnen Erfinderköpfen vorbereitete, die aber erst
in der Periode nach Goethe tatsächlich Gestalt gewann. „Eisen", das ist ein natür-
licher Rohstoff, durch ein relativ einfaches naturgegebenes Schmelzungsver-
fahren gewonnen. Aus Eisen aber ward der „Stahl". Stahl „wächst" nicht, er
wird nicht „gefunden", sondern ward „erfunden", er wird künstlich durch
Kohlenstcffentziehung aus dem Eisen erzeugt, er setzt heute — etwa seit Bessemers
Verfahren — Prozesse voraus, die sich nicht wie Feuer, Blasebalg und Schmelzung
dem naturnahen Menschen gleichsam primär anbieten, sondern deren Bedingungen
indirekt „erstellt" werden müssen. Erst aber der härtbare moderne Stahl gab
dem Ingenieur die fast unbegrenzten technischen Möglichkeiten und Auswir-
kungen, vor denen wir heute stehen. So wird man vielleicht später die neue Welt-
epoche — freilich mehr symbolisch als im Sinne einer exakten Geschichte der
Hüttentechnik — die „SLahlzeit" nennen.

Überall „Stahl" statt „Eisen", also Indirektes an Stelle des Direkten, Er-
fundenes statt des Gefundenen, Gewachsenen und Offenbaren. Überall Künst-
liches statt des Handgreiflichen und Naturgegebenen! Die Dampfkraft, die elek-
trischen Antriebe, die Explosionskräfte, alle solche Energien sind nicht aus erster
Hand von der Natur genommen, so wie man bis zu Goethes Zeit mit Vorrichtungen
wie Segel, Wind- und Wasserrad die handgreiflichen Naturkräfte von Wind und
Wasser ausnützte (und von ihren Launen abhängig blieb), oder wie man in Werk-
zeug, Pflug und Wagen die willensbeseelte organische Kraft der eigenen Hand
oder des eigenen Haustiers ausnützte (und von deren Ermüdung abhing). Dampf-
maschinen, Elektromotor, Explosionsmotor werden von Energiewirkungen be-
trieben, deren Voraussetzungen der Mensch erst künstlich schuf, die man also nicht
als eigentliche „Naturkräfte" ansprechen kann. Von solchen Energiewirkungen
freilich hängt der Mensch nicht mehr ab, sondern er beherrscht sie, da er sie erst
„machte". Mit ihnen verwandelt er die Welt. Kaum ist man aus dem Stadium der
Erfindung in das der industriellen Ausnützung all der neuen Maschinen getreten
— und dies letztere beginnt im allgemeinen erst seit etwa 100 Jahren —, hat sich
alles um uns her vollkommen verändert. Lebensverhältnisse, die bei uns von
den alten Germanen bis zur Biedermeierzeit ziemlich stabil waren, sind in kaum
faßbarer Weise vor neuartigen Einrichtungen zurückgetreten. Gleichsam über
Nacht — denn wie wenig ist ein Jahrhundert im Ganzen planetarischer Mensch-
heitsgeschichte — ist um uns so etwas erstanden wie eine kolossalische „zweite
Natur": eine künstliche Welt von Einrichtungen, Apparaten, Maschinen, weit-
läufigen Aggregaten von Maschinen zur Krafterzeugung und Arbeitsleistung. Die
„Welt der Technik" nennen wir sie, die einen naiv-stolz, die anderen gchon
gewohnheitsmäßig, noch andere mit einer leisen Abwehr. Denn wenn auch zu-

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