1897
Heidelberökr Akademische Mitteiluxght
Xr. 4
Eine Erwiderung -.
(Bingesandt.)
Seit einiger Zeit kann man in Zeitungen unseres engeren
Heimatlaudes wie auch ausserhalb desselben lesen, dass einige
studentische Korporationen den „rühmlichen“ Beschluss ge-
fasst hätten, auf ihren Universitäten den Kolleghesuch für
ihre Mitglieder obligatorisch zu machen. Man hätte durch-
aus keine Veranlassung zu einer Erwiderung, wäre nicht die
Möglichkeit vorhanden, dass dieser Beschluss wegen der viel-
seitigen Veröffentlichungen von fernerstehenden Kreisen als
etwas ausserordentliches angesehen wiirde, und dass infolge
dessen diese Korporationen, deren Namen bekanntlich in den
Zeitungen genannt waren, ohne Grund mit mehr Sympathio
begrüsst würden.
Uns erinnerte dieser Beschluss an den leiehtsinnigen
Gymnasiasten, der, um zu arbeiten, in sein Zimmer einge-
schlossen wird; und als man sich einige Zeit nachher über-
zeugen will, ob er sich gefügt habe, findet man ihn eifrig
lesend in einem anderen Buch, während gerade dasjenige,
aus dem er die Wissenschaft schöpfen soll, umgekehrt vor
ihm liegt. Doch durch die notwendige Beaufsichtigung wird
man denselben in der Iiegel soweit bringen, dass sein Stu-
dium von Erfolg sein wird. Aber welcher Unterschied zwischen
ihm und einem Studenten! Innerhalb der vier Wände des
Kollegs kann letzterer an der Vorlesung nach seiner Wahl
teilnehmen oder nicht; einen ldeinen Beweis geben uns die
vielen in den Bänken eingeschnitzten Zirkel und Namen voll-
auf davon, dass ein Teil der Studenten anderen Beschäfti-
gungen lieber nacbgeht, als gerade den Worten des Lehrers
zu folgen! Und sollten nicht vor allem die „Gezwungenen“
solche und ähnliche Beschäftigungen vorziehen, die doch kein
Interesse an den Vorlesungen haben? — Doch wir glauben,
dass derjenige Studierende, welcher von seinem Fach be-
geistert ist oder zum mindesten Gefallen daran findet, aucli
ohne Zwang, mag er sich mit oder ohne Mütze in der
Oeffentlichkeit zeigen, sein Kolleg besuchen wird, woran ihn,
wenn er aktiv ist, auch seine Korporation in der Begel nicht
wird hindern wollen.
So kommen wir also unwillkürlich zu der Ansicht, dass
von den vielen anderen Korporationen ein grösserer Prozent-
satz ihrer Mitglieder sich bisher an den Vorlesungen beteiligt
hat, denn — soviel uns bekannt — hat noch keine dieser
Korporationen einen ähnlichen ßeschluss nur irgendwie in
Betracht gezogen. Und was nun die übrige, heutzutage ver-
hältnismässig geringe Zahl Derjenigen anlangt, welche das
Kolleg, vielleicht auch auf längere Zeit, versäumen, so sind
es fast durchweg solche, die „des Vergnügens halber“ stu-
dieren und auch ohne Studium bereits eine gesicherte Existenz
haben. ünd endlich Diejenigen, welche vielleicht „nötig“
hätten, zum Kollegbesuch angehalten zu werden? Nun, diese
haben mit drei, vielleicht auch vier Semestern, vollauf das
schöne Studentenleben gekostet, und sie benutzen jetzt die
noch übrige Zeit, um tüchtig zu arbeiten. Dazu gehört aber
sicherlich nicht nur der Kollegbesuch, sondern auch die häus-
liche Arbeit, was vielleicht diesen letzteren eher zu Be-
wusstsein kommmen wird, als jenen, die, zum Kollegbesuch
gezwungen, für diesen Tag schon genügend sich geistig an-
gestrengt zu haben glauben. Dass aber trotzdem ein geringer
Teil der Studenten „verbummelt“, daran wird selbst mit den
schärfsten Mitteln nichts zu ändern sein. So erreicht gerade
in den Mittelschulen trotz des grössten Zwangs, der daselbst
herrscht, nur ein geringer Bruchteil der Schüler sein eigent-
liches Ziel. Es ist eben auch dieser „Nichtzwang“ ein uns
glücklicherweise noch erhalten gebliebener Ueberrest unserer
sonst doch so viel gerühmten akademischen Ereiheit.
Von anderen Hochschnlen.
(Aenderung der Satzungen der bayerisclien Hocli-
schulen.) Das Kultusministerium hat folgende Anordnung
erlassen: Vom Wintersemester 1897/98 an treten in teil-
weiser Abänderung der §§ 12, 23 und 24 der Satzungen für
die Studierenden an den bayerischen Universitäten vom 22 ten
Februar 1891 die nachstehenden Bestimmungen in Kraft:
1. Das Wintersemester dauert vom 15. Oktober bis 15. März,
das Sommersemester vom 15. April bis 31. Juli. 2. Die Vor-
lesungen im Wintersemester beginnen am 21. Oktober, die
Vorlesungen im Sommersemester beginnen am 21. April.
3. Die Weihnachtsferien dauern vom 23. Dezember bis zum
2. Januar einschliesslich.
(Bern.) Der Abteilungschef im eidgenössischen Justiz-
departement Dr. ß. v. Salis, bis vor Kurzem ordentlicher
Professor an der Basler Hochschule, wurde vom bernischen
Kegierungsrat zum Honorarprofessor für schweizerisches Staats-
und Verwaltungsrecht an der hiesigen Universität gewählt.
(Bonn.) Privatdozent und Observator der Sternwarte,
Prof. Dr. Deichmüller, ist zum ausserordentlichen Professor
an der philosophischen Fakultät ernannt worden.
Ebenda ist am 12. Mai der erste Helgoländer seit
Erwerbung des Eilandes durch das Deutsche Keich als Student
der Rechte immatrikuliert worden.
(Erlangen.) Auch an der hiesigen Universität hat nun-
mehr das weiblicheGeschlecht seinen Einzug gehalten.
Drei Nürnberger Lehrerinnen besuchen als Hörerinnen die
Uebungen des neuphilologischen Seminars bei Prof. Varnhagen.
(Jena.) Herr Dr. G. R. A n t o n, Privatdozent der Staats-
wissenschaften, dementiert die Meldung von seiner Berufung
nacli Kiel.
(Innsbruck.) Prof. Lukasiewicz, Vorstand der der-
matologischen Klinik in Innsbruck, ist an erster Stelle zum
Nachfolger des verstorbenen Professors Rosner von derKra-
kauer medizinischen Fakultät in Vorsehlag gebracht worden.
(Lemberg.) Der ausserordentliche Professor der Physio-
logie Dr. Adolf lleck wurde zum Ordinarius befördert. —
Dr. Alois Winiarz hat sich als Privatdozent fiir polnisches
Kecht habilitiert.
(München.) Im Hinblick auf die Einführung des bürger-
lichen Gesetzbuches bestimmt ein Ministerialerlass, dass im
Lehrplan der Universitäten das deutsche bürgerliche Recht
den Mittelpunkt des zivilrechtlichen Unterrichts zu bilden
und an Stelle der gegenwärtigen Vorlesungen über Pandekten
und über deutsches Privatrecht zu treten hat. Für alle Stu-
dierenden der Rechtswissenschaft, die vom Winterhalbjahr
1897/98 ab ihre Universitätsstudien beginnen, wird eine frühe-
stens nach 3 Semestern abzulegende Zwischenprüfung einge-
führt, die sich 1. auf römische ßechtsgeschichte und System
des römischen Privatrechts, 2. auf deutsche Rechtsgeschichte
und Gründzüge des deutschen Privatrechts zu erstrecken hat.
(Philadelpliia.) Edward Copes, einer der hervor-
ragendsten amerikanischen Naturforscher, der sich besonders
um die Paläontologie und die Evolutionslehre verdient ge-
macht hat, ist gestorben.
(Pisa.) Der durch seine Werke über das römische Recht
bekannte gelehrte Ph. Serafini ist hier gestorben.
(Strassburg.) Die Privatdozenten Dr. Scheurlen und
Dr. Marburg sind aus dem Lehrkörper der hiesigen Uni-
versität ausgeschieden; jener ist als Medizinalrat nach Stutt-
gart berufen worden, der Chemiker Dr. Marburg sieht sich
durch Krankheit am Halten von Vorlesungen verhindert.
Heidelberökr Akademische Mitteiluxght
Xr. 4
Eine Erwiderung -.
(Bingesandt.)
Seit einiger Zeit kann man in Zeitungen unseres engeren
Heimatlaudes wie auch ausserhalb desselben lesen, dass einige
studentische Korporationen den „rühmlichen“ Beschluss ge-
fasst hätten, auf ihren Universitäten den Kolleghesuch für
ihre Mitglieder obligatorisch zu machen. Man hätte durch-
aus keine Veranlassung zu einer Erwiderung, wäre nicht die
Möglichkeit vorhanden, dass dieser Beschluss wegen der viel-
seitigen Veröffentlichungen von fernerstehenden Kreisen als
etwas ausserordentliches angesehen wiirde, und dass infolge
dessen diese Korporationen, deren Namen bekanntlich in den
Zeitungen genannt waren, ohne Grund mit mehr Sympathio
begrüsst würden.
Uns erinnerte dieser Beschluss an den leiehtsinnigen
Gymnasiasten, der, um zu arbeiten, in sein Zimmer einge-
schlossen wird; und als man sich einige Zeit nachher über-
zeugen will, ob er sich gefügt habe, findet man ihn eifrig
lesend in einem anderen Buch, während gerade dasjenige,
aus dem er die Wissenschaft schöpfen soll, umgekehrt vor
ihm liegt. Doch durch die notwendige Beaufsichtigung wird
man denselben in der Iiegel soweit bringen, dass sein Stu-
dium von Erfolg sein wird. Aber welcher Unterschied zwischen
ihm und einem Studenten! Innerhalb der vier Wände des
Kollegs kann letzterer an der Vorlesung nach seiner Wahl
teilnehmen oder nicht; einen ldeinen Beweis geben uns die
vielen in den Bänken eingeschnitzten Zirkel und Namen voll-
auf davon, dass ein Teil der Studenten anderen Beschäfti-
gungen lieber nacbgeht, als gerade den Worten des Lehrers
zu folgen! Und sollten nicht vor allem die „Gezwungenen“
solche und ähnliche Beschäftigungen vorziehen, die doch kein
Interesse an den Vorlesungen haben? — Doch wir glauben,
dass derjenige Studierende, welcher von seinem Fach be-
geistert ist oder zum mindesten Gefallen daran findet, aucli
ohne Zwang, mag er sich mit oder ohne Mütze in der
Oeffentlichkeit zeigen, sein Kolleg besuchen wird, woran ihn,
wenn er aktiv ist, auch seine Korporation in der Begel nicht
wird hindern wollen.
So kommen wir also unwillkürlich zu der Ansicht, dass
von den vielen anderen Korporationen ein grösserer Prozent-
satz ihrer Mitglieder sich bisher an den Vorlesungen beteiligt
hat, denn — soviel uns bekannt — hat noch keine dieser
Korporationen einen ähnlichen ßeschluss nur irgendwie in
Betracht gezogen. Und was nun die übrige, heutzutage ver-
hältnismässig geringe Zahl Derjenigen anlangt, welche das
Kolleg, vielleicht auch auf längere Zeit, versäumen, so sind
es fast durchweg solche, die „des Vergnügens halber“ stu-
dieren und auch ohne Studium bereits eine gesicherte Existenz
haben. ünd endlich Diejenigen, welche vielleicht „nötig“
hätten, zum Kollegbesuch angehalten zu werden? Nun, diese
haben mit drei, vielleicht auch vier Semestern, vollauf das
schöne Studentenleben gekostet, und sie benutzen jetzt die
noch übrige Zeit, um tüchtig zu arbeiten. Dazu gehört aber
sicherlich nicht nur der Kollegbesuch, sondern auch die häus-
liche Arbeit, was vielleicht diesen letzteren eher zu Be-
wusstsein kommmen wird, als jenen, die, zum Kollegbesuch
gezwungen, für diesen Tag schon genügend sich geistig an-
gestrengt zu haben glauben. Dass aber trotzdem ein geringer
Teil der Studenten „verbummelt“, daran wird selbst mit den
schärfsten Mitteln nichts zu ändern sein. So erreicht gerade
in den Mittelschulen trotz des grössten Zwangs, der daselbst
herrscht, nur ein geringer Bruchteil der Schüler sein eigent-
liches Ziel. Es ist eben auch dieser „Nichtzwang“ ein uns
glücklicherweise noch erhalten gebliebener Ueberrest unserer
sonst doch so viel gerühmten akademischen Ereiheit.
Von anderen Hochschnlen.
(Aenderung der Satzungen der bayerisclien Hocli-
schulen.) Das Kultusministerium hat folgende Anordnung
erlassen: Vom Wintersemester 1897/98 an treten in teil-
weiser Abänderung der §§ 12, 23 und 24 der Satzungen für
die Studierenden an den bayerischen Universitäten vom 22 ten
Februar 1891 die nachstehenden Bestimmungen in Kraft:
1. Das Wintersemester dauert vom 15. Oktober bis 15. März,
das Sommersemester vom 15. April bis 31. Juli. 2. Die Vor-
lesungen im Wintersemester beginnen am 21. Oktober, die
Vorlesungen im Sommersemester beginnen am 21. April.
3. Die Weihnachtsferien dauern vom 23. Dezember bis zum
2. Januar einschliesslich.
(Bern.) Der Abteilungschef im eidgenössischen Justiz-
departement Dr. ß. v. Salis, bis vor Kurzem ordentlicher
Professor an der Basler Hochschule, wurde vom bernischen
Kegierungsrat zum Honorarprofessor für schweizerisches Staats-
und Verwaltungsrecht an der hiesigen Universität gewählt.
(Bonn.) Privatdozent und Observator der Sternwarte,
Prof. Dr. Deichmüller, ist zum ausserordentlichen Professor
an der philosophischen Fakultät ernannt worden.
Ebenda ist am 12. Mai der erste Helgoländer seit
Erwerbung des Eilandes durch das Deutsche Keich als Student
der Rechte immatrikuliert worden.
(Erlangen.) Auch an der hiesigen Universität hat nun-
mehr das weiblicheGeschlecht seinen Einzug gehalten.
Drei Nürnberger Lehrerinnen besuchen als Hörerinnen die
Uebungen des neuphilologischen Seminars bei Prof. Varnhagen.
(Jena.) Herr Dr. G. R. A n t o n, Privatdozent der Staats-
wissenschaften, dementiert die Meldung von seiner Berufung
nacli Kiel.
(Innsbruck.) Prof. Lukasiewicz, Vorstand der der-
matologischen Klinik in Innsbruck, ist an erster Stelle zum
Nachfolger des verstorbenen Professors Rosner von derKra-
kauer medizinischen Fakultät in Vorsehlag gebracht worden.
(Lemberg.) Der ausserordentliche Professor der Physio-
logie Dr. Adolf lleck wurde zum Ordinarius befördert. —
Dr. Alois Winiarz hat sich als Privatdozent fiir polnisches
Kecht habilitiert.
(München.) Im Hinblick auf die Einführung des bürger-
lichen Gesetzbuches bestimmt ein Ministerialerlass, dass im
Lehrplan der Universitäten das deutsche bürgerliche Recht
den Mittelpunkt des zivilrechtlichen Unterrichts zu bilden
und an Stelle der gegenwärtigen Vorlesungen über Pandekten
und über deutsches Privatrecht zu treten hat. Für alle Stu-
dierenden der Rechtswissenschaft, die vom Winterhalbjahr
1897/98 ab ihre Universitätsstudien beginnen, wird eine frühe-
stens nach 3 Semestern abzulegende Zwischenprüfung einge-
führt, die sich 1. auf römische ßechtsgeschichte und System
des römischen Privatrechts, 2. auf deutsche Rechtsgeschichte
und Gründzüge des deutschen Privatrechts zu erstrecken hat.
(Philadelpliia.) Edward Copes, einer der hervor-
ragendsten amerikanischen Naturforscher, der sich besonders
um die Paläontologie und die Evolutionslehre verdient ge-
macht hat, ist gestorben.
(Pisa.) Der durch seine Werke über das römische Recht
bekannte gelehrte Ph. Serafini ist hier gestorben.
(Strassburg.) Die Privatdozenten Dr. Scheurlen und
Dr. Marburg sind aus dem Lehrkörper der hiesigen Uni-
versität ausgeschieden; jener ist als Medizinalrat nach Stutt-
gart berufen worden, der Chemiker Dr. Marburg sieht sich
durch Krankheit am Halten von Vorlesungen verhindert.