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Universität Heidelberg [Editor]
Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Sommer-Halbjahr 1905 — 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.74187#0071

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Nr. 9

Heidelberger Akademische Mitteilungen

1905

Wir sind Gegner aller Vereinigungen, die
einen politischen oder religiösen Leitsatz
auf ihr Programm geschrieben haben. Wir
halten jede Vereinigung konfessionellen oder politischen
Charakters für einen Krebsschaden innerhalb der
Studentenschaft. Ist aber aus unserm Standpunkt das
Recht abzuleiten, konfessionelle oder politische Ver-
bindungen mit den Mitteln äusserer Gewalt zu unter-
drücken? Stünden die konfessionellen Korporationen
nicht auf dem Standpunkt der Lern- oder Lehrfreiheit,
dann wäre sogar ein gewaltsamer Kampf erlaubt. Aber
jenen Nachweis, dass sie gegen die akademische Frei-
iieit sind, hat bis jetzt noch niemand erbringen können.
Weil wir aber die akademische Freiheit so

hoch halten, dass wir unter ihr auch das
Recht jedes Studenten verstehen, sich mit
anderen zusammenzuschliessen, wie er es für
gut hält, und das Recht, frei seine Meinung
zu äussern, so können wir an einem solchen
Kampfe gegen die konfessionellen Verbin-
dungen nicht teilnehmen: Denn wer diese
Korporationen, wie es versucht und getan
worden ist, mit der Polizeigewalt bekämpft,
der verletzt doch vor allem selbst die aka-
demische Freiheit! Kein Zweifel, dass die Mit-
glieder vieler konfessioneller Verbindungen eine andere
Weltanschauung haben wie viele Studenten; ist es aber
nicht gerade das Wesen der akademischen Freiheit,
dass Freiheit der Anschauungen im weitesten Sinne be-
steht? Und noch eines: Ausnahmegesetze, Polizei-
gesetze, und vor allem solche, mit denen eine geistige
Bewegung niedergehalten werden soll, haben bis jetzt
immer das Gegenteil von dem erreicht, was sie sollten.
Ich erinnere Sie an das Sozialistengesetz und die
Sozialdemokratie, an den Kulturkampf und das Zentrum!
Eine geistige Bewegung soll man nur mit geistigen Waf-
fen, durch Aufklärung bekämpfen! Wie die Burschen-
schafter unter dem Druck der Reaktion zu Märtyrern
gestempelt worden sind, so werden jetzt besonders
die Mitglieder katholischer Korporationen — das sollten
sich doch vor allem die Burschenschaften merken —
in ihrer Stellung befestigt werden! Auf der einen
Seite kämpft man gegen die engherzigen
Anschauungen eines Ministeriums gegen das
Koalitionsrecht der Studenten — auf der
andern Seite beraubt man einen Teil der
Studenten dieses Rechtes! Als ob ein Recht
der Organisation nur den sog. „liberalen" Korporationen
zukomme? Ich sage: den sog. liberalen Korporationen;
denn ich muss doch aufs schärfste dagegen protestieren,
dass die in Frage stehenden Bestrebungen dieser Kor-
porationen mit dem Liberalismus auch nur das aller-
mindeste zu tun haben. Selbst wenn wir aber an-
nehmen, dass sie „liberal" sind, so wäre es ein schlech-
tes Zeichen für sie, wenn sie sich nur durch Auflösung
der Organisationen ihrer Gegner erhalten könnten. Und
wenn wir die Gegnerschaft gegen die katholischen Kor-
porationen vom Standpunkt der Weltanschauungen be-
trachten: wie draussen im Wirtschaftsleben die Kon-
kurrenz nötig ist, um die Kräfte wach zu halten, so
ist auch im Geistesleben der Widerstreit der Meinungen
nötig, um die Wahrheit finden zu können. Willkür
wird Wahrheit nie finden. Wahrheit wird nur da zu
finden sein, wo auch Freiheit ist.
Stellt sich — wenn ich alles Gesagte zusammen-
fasse — die Freie Studentenschaft auf die Seite der
konfessionellen Verhetzung, dann vertritt sie nicht mehr
die Interessen aller Nichtinkorporierten, sondern nur die
eines Teiles von ihnen. Gibt die Finkenschaft
ihre zu dieser Frage durch Statut und Pro-

gramm vorgeschriebene Stellung auf, so hat
sie keine Existenzberechtigung mehr. Er-
kennt sie die Beschlüsse des Weimartages
an, so verletzt sie damit die akademische
Freiheit!
Mir scheint überhaupt der Weimartag ein Rück-
schritt im Studentenleben zu bedeuten: Leitsätze I und

II verdienen ja Anerkennung, denn sie geben einen
grossen Teil des Finkenschaftsprogrammes wieder, des
Programmes, das von den Korporationen so oft als
lächerlich und undurchführbar hingestellt worden ist.
Die Finkenschaft kann es durchführen, die Korpora-
tionen aber, die in Weimar den Verband gegründet
haben, werden es nie fertig bekommen: denn „solange
sich jede Verbindung besser dünkt als die andere"
und in einem Nichtinkorporierten noch vielfach einen
Studenten 2 ter Klasse sieht, können diese Beschlüsse
nicht zur Tat werden, sind also nur wohlklingende
Worte, Phrasen! Leitsatz III enthält einen
Widerspruch in sich, über den auch die
Resolutionen über die konfessionellen Ver-

bindungen nicht hinweghelfen.
Mir erscheint es als Rückschritt, dass Studenten-
ausschüsse erstrebt werden, in denen konfessionelle
Verbindungen Sitz und Stimme nicht haben sollen.
Das ist ein Standpunkt, den Freie Studenten nie
und nimmer als den ihren anerkennen können.
Denn dieser Standpunkt widerspricht ja dem Prinzip
der akademischen Freiheit! Wir arbeiten für eine

neue Ausgestaltung der Studentenausschüsse: Wir
können nur die Ausschüsse als allgemein

denen alle

studentische anerkennen, in

Gruppen der Studentenschaft angemessen
vertreten sind, in denen der Gesamtwille
aller akademischen Bürger zum Ausdruck
kommt. Es ist also die Pflicht aller derjenigen, die die
Organisationen der Finkenschaft unterstützen, dahin zu
wirken, dass Ausschüsse, in denen nur ein Teil der
Studentenschaft vertreten sein kann, von den Sena-
ten nicht als allgemein studentische ge
nehmigt werden!
Ich komme zum Schlüsse meiner Ausführungen:
Aus dem Gesagten geht hervor, dass unsere
Stellung im Kampfe gegen die konfessionel-
len Verbindungen die Stellung des Rechts
ist. Was rechtens ist, für das wollen wir
kämpfen. Nachfolgende Resolution soll unsern Stand-

punkt kennzeichnen:
„Die Freie Studentenschaft bekämpft es,
dass der junge Deutsche beim Eintritt in
das akademische Leben auf eine bestimmte

politische und religiöse Ueberzeugung ver-
pflichtet wird. Sie verwirft es prinzipiell,
dass im Vordergrund des studentischen Le-
bens Fragen politischen oder religiösen Cha-
rakters stehen. Darum ist sie Gegnerin aller
konfessionellen Verbindungen. Sie lehnt es aber
aufs entschiedenste ab, den Kampf gegen
diese Verbindungen auf eine dem Wesen der
akademischen Freiheit widersprechende
Weise zu führen; denn sie sieht in ihr auch
das Recht der freien Meinungsäusserung
eines jeden Studenten und freies Koalitions-
recht. Die Freie Studentenschaft verwirft e s, ihrem
obersten Gesetze folgend, das Achtung vor
jeder ehrlichen Ueberzeugung und Gleich-
berechtigung aller Kommilitonen verlangt,
die konfessionellen Verbindungen mit den Mitteln
äusserer Gewalt zu unterdrücken."

Ich bitte Sie, diese Resolution ohne Aenderung an-
 
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