Akademische Mitteilungen
FÜR DIE
STUDIERENDEN DER RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT HEIDELBERG.
HERAUSGEGEBEN VON J. HÖRNING, UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI
Fernsprecher 119 HEIDELBERG Hauptstrasse 55 a.
Erscheint wöchentlich und wird unentgeltlich und frei allen Studierenden und Lehrern der Hochschule zugestellt.
Preis bei der Post vierteljährlich 75 Pfe. ausschliesslich Bestellgebühr.
Sommer-Halbjahr 1905.
Nr. 13.
Samstag, 29. Juli 1905.
Der deutsche Student im Mittelalter.*)
Der Name Universität hat erst im Lauf der späteren
Entwickelung seine Bedeutung als Gesamtbezeichnung
der Hochschule erhalten. Ursprünglich wurde sie als
Studium generale bezeichnet, in deutscher Sprache hiess
sie wohl frieschule oder hohe schule. Die universitas
studii bedeutete eine Korporation an der Hochschule und
zwar die Gesamtheit der an der korporativen Verwaltung
beteiligten Akademiker, im Gegensatz zu den Nicht-
akademikern, die sich vielfach um des Mitgenusses der
Privilegien willen in die Hochschulkörperschaft eintragen
liessen, wie zu den niederen Beamten der Universität.
Auch die nichtgraduierten Akademiker, die Scholaren,
gehörten vielfach von Anfang an nicht zu der universitas;
und auch wo sie anfangs in ihr sassen, entwickelte sie
sich mehr und mehr zur Körperschaft der Graduierten.
Dass die universitas aber rechtlich die Hochschule prä-
sentierte, hat schliesslich dazu geführt, dass man den
Namen Universität als Gesamtbezeichnung der Hoch-
schule gebrauchte.
Die Entwickelung der universitas studii hängt eng
zusammen mit der Stellung des mittelalterlichen Stu-
denten. Die Ansicht, dass die Scholaren „in strenger
klösterlicher Zucht", als verhältnismässig Unfreie gegen-
über den Studenten späterer Zeit, gelebt hätten, kann
man nach den neuesten Forschungen wohl als endgiltig
abgetan bezeichnen. An einzelnen, und gerade an den
ältesten und berühmtesten mittelalterlichen Universitäten
haben die Studierenden sogar anfangs einen gewissen
Anteil an der Verwaltung gehabt; und Reste dieser
Gleichberechtigung mit den Lehrern haben sich, nament-
lich was die adligen Studenten anbelangt, vielfach bis
in die neuere Zeit hinein erhalten. Die Universiät Paris
und die Rechtsschule zu Bologna sind die Vorbilder für
die Organisation der deutschen Universitäten im Mittel-
alter gewesen. In Bologna waren die Studierenden die
eigentlichen Herren der Hochschulkorporation; sie hatten
die Lehrer zu berufen und aus ihren eigenen Reihen den
Rektor zu wählen; in Paris stand den Studierenden von
Anfang an kein Anspruch auf Beteiligung an der Ver-
waltung zu. Nun hat Paris zwar für die meisten deut-
schen Universitätsgründungen des Mittelalters schon das
alleinige Vorbild abgegeben; aber gerade bei den ersten
deutschen Hochschulen führte man ein aus Pariser und
Bologneser Bestimmungen gemischtes System ein. So
hatten die Studenten anfangs das aktive Wahlrecht
bei der Rektorwahl in Wien, Prag, Leipzig, Basel,
*) Wir entnehmen diesen Abschnitt der soeben erschienenen Schrift
„Die Kämpfe um die akademische Freiheit einst und jetzt", eine Ge-
schichte der Freiheit der deutschen Studenten von Paul Baecker. Prenz-|
lau, A. Mieck. 84 Seiten, Preis 80 Pfg.
Erfurt, und von Leipzig scheint es noch in die ältesten
Statuten nach Frankfurt gekommen zu sein, die nach
1506 abgefasst wurden. Auf einzelnen dieser Universi-
täten wurde ihnen das aktive Wahlrecht allerdings von
Anfang an bestritten; und auf allen ist der Anspruch
der Studierenden auf dasselbe in nicht langer Zeit unter-
legen. Das passive Wahlrecht aber verblieb ihnen in
Prag, Wien, Erfurt und Basel; und es ist ihnen anfäng-
lich. fast an allen Universitäten zugestanden worden.
Es erhielt sich als allgemeines Recht bis ins 16. Jahr-
hundert hinein. Freilich wählte man bald nur noch
Fürstensöhne oder sonstige hohe Herren aus den Reihen
der Studierenden zu Rektoren; und im 16. und 17. Jahr-
hundert ist dies alte Studentenrecht so weit verblasst,
dass solche Standespersonen nur noch zu Ehrenrektoren
ernannt werden, namentlich um des solennen Schmauses
willen, den diese Ehre kostete; zur Leitung der Ge-
schäfte wählte man Prorektoren aus dem Lehrkörper.
In Ingolstadt hatten die Studierenden bei Abfassung der
ersten Statuten und noch 25 Jahre später bei ihrer
Revision Sitz und Stimme in der universitas; verschie-
dentlich waren sie wenigstens bei den Verhandlungen
über Geldumlagen stimmberechtigt; in der Wiener -medi-
zinischen Fakultät haben sie 1461 zusammen mit den
Doktoren und Magistern einen neuen Lehrer gewählt,
und dieser Fall wird kaum vereinzelt gewesen sein.
Vor allem haben die adligen Studenten das ganze
Mittelalter hindurch und auch noch später eine Vorzugs-
stellung gehabt; die Geburt wurde vielfach akademi-
schen Graden gleichgesetzt. Ein klassisches Beispiel
dafür ist die alte Festordnung der Wiener Universität.
Für feierliche Aufzüge wurden die Mitglieder in sieben
Ordnungen geteilt: In der ersten neben den Doktoren
der Theologie die studentischen Standespersonen vom
Grafen aufwärts, in der zweiten neben den Doktoren der
juristischen Fakultät die niederen Standesherren unter
den Studierenden, in der dritten der einfache studen-
tische Adel neben den Doktoren der Medizin; dann erst
kamen zwei Ordnungen des niederen Lehrkörpers, und
zuletzt die baccalarii und nichtadligen Scholaren.
Ferner waren Lehrende und Lernende anfangs nicht
streng geschieden, oder dieser Unterschied war doch
nicht ausschlaggebend für den Rang in der universitas;
die magistri z. B., die nicht lehrten, standen über den
niedrigsten Stufen der Lehrenden. Erst allmählich bil-
dete sich ein streng geschlossener Lehrkörper heraus,
der dann allerdings bald die Verwaltung der Universi-
tät für sich monopolisierte. Diese Entwickelung wird
namentlich bezeichnet durch den Sieg der Fakultäten
über die Nationen. Von Paris hatte man die Einteilung
in (zumeist vier) Nationen übernommen, in die Lehrer
und Lernende durcheinander eingetragen wurden und
in deren Versammlungen eben die Scholaren anfangs
FÜR DIE
STUDIERENDEN DER RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT HEIDELBERG.
HERAUSGEGEBEN VON J. HÖRNING, UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI
Fernsprecher 119 HEIDELBERG Hauptstrasse 55 a.
Erscheint wöchentlich und wird unentgeltlich und frei allen Studierenden und Lehrern der Hochschule zugestellt.
Preis bei der Post vierteljährlich 75 Pfe. ausschliesslich Bestellgebühr.
Sommer-Halbjahr 1905.
Nr. 13.
Samstag, 29. Juli 1905.
Der deutsche Student im Mittelalter.*)
Der Name Universität hat erst im Lauf der späteren
Entwickelung seine Bedeutung als Gesamtbezeichnung
der Hochschule erhalten. Ursprünglich wurde sie als
Studium generale bezeichnet, in deutscher Sprache hiess
sie wohl frieschule oder hohe schule. Die universitas
studii bedeutete eine Korporation an der Hochschule und
zwar die Gesamtheit der an der korporativen Verwaltung
beteiligten Akademiker, im Gegensatz zu den Nicht-
akademikern, die sich vielfach um des Mitgenusses der
Privilegien willen in die Hochschulkörperschaft eintragen
liessen, wie zu den niederen Beamten der Universität.
Auch die nichtgraduierten Akademiker, die Scholaren,
gehörten vielfach von Anfang an nicht zu der universitas;
und auch wo sie anfangs in ihr sassen, entwickelte sie
sich mehr und mehr zur Körperschaft der Graduierten.
Dass die universitas aber rechtlich die Hochschule prä-
sentierte, hat schliesslich dazu geführt, dass man den
Namen Universität als Gesamtbezeichnung der Hoch-
schule gebrauchte.
Die Entwickelung der universitas studii hängt eng
zusammen mit der Stellung des mittelalterlichen Stu-
denten. Die Ansicht, dass die Scholaren „in strenger
klösterlicher Zucht", als verhältnismässig Unfreie gegen-
über den Studenten späterer Zeit, gelebt hätten, kann
man nach den neuesten Forschungen wohl als endgiltig
abgetan bezeichnen. An einzelnen, und gerade an den
ältesten und berühmtesten mittelalterlichen Universitäten
haben die Studierenden sogar anfangs einen gewissen
Anteil an der Verwaltung gehabt; und Reste dieser
Gleichberechtigung mit den Lehrern haben sich, nament-
lich was die adligen Studenten anbelangt, vielfach bis
in die neuere Zeit hinein erhalten. Die Universiät Paris
und die Rechtsschule zu Bologna sind die Vorbilder für
die Organisation der deutschen Universitäten im Mittel-
alter gewesen. In Bologna waren die Studierenden die
eigentlichen Herren der Hochschulkorporation; sie hatten
die Lehrer zu berufen und aus ihren eigenen Reihen den
Rektor zu wählen; in Paris stand den Studierenden von
Anfang an kein Anspruch auf Beteiligung an der Ver-
waltung zu. Nun hat Paris zwar für die meisten deut-
schen Universitätsgründungen des Mittelalters schon das
alleinige Vorbild abgegeben; aber gerade bei den ersten
deutschen Hochschulen führte man ein aus Pariser und
Bologneser Bestimmungen gemischtes System ein. So
hatten die Studenten anfangs das aktive Wahlrecht
bei der Rektorwahl in Wien, Prag, Leipzig, Basel,
*) Wir entnehmen diesen Abschnitt der soeben erschienenen Schrift
„Die Kämpfe um die akademische Freiheit einst und jetzt", eine Ge-
schichte der Freiheit der deutschen Studenten von Paul Baecker. Prenz-|
lau, A. Mieck. 84 Seiten, Preis 80 Pfg.
Erfurt, und von Leipzig scheint es noch in die ältesten
Statuten nach Frankfurt gekommen zu sein, die nach
1506 abgefasst wurden. Auf einzelnen dieser Universi-
täten wurde ihnen das aktive Wahlrecht allerdings von
Anfang an bestritten; und auf allen ist der Anspruch
der Studierenden auf dasselbe in nicht langer Zeit unter-
legen. Das passive Wahlrecht aber verblieb ihnen in
Prag, Wien, Erfurt und Basel; und es ist ihnen anfäng-
lich. fast an allen Universitäten zugestanden worden.
Es erhielt sich als allgemeines Recht bis ins 16. Jahr-
hundert hinein. Freilich wählte man bald nur noch
Fürstensöhne oder sonstige hohe Herren aus den Reihen
der Studierenden zu Rektoren; und im 16. und 17. Jahr-
hundert ist dies alte Studentenrecht so weit verblasst,
dass solche Standespersonen nur noch zu Ehrenrektoren
ernannt werden, namentlich um des solennen Schmauses
willen, den diese Ehre kostete; zur Leitung der Ge-
schäfte wählte man Prorektoren aus dem Lehrkörper.
In Ingolstadt hatten die Studierenden bei Abfassung der
ersten Statuten und noch 25 Jahre später bei ihrer
Revision Sitz und Stimme in der universitas; verschie-
dentlich waren sie wenigstens bei den Verhandlungen
über Geldumlagen stimmberechtigt; in der Wiener -medi-
zinischen Fakultät haben sie 1461 zusammen mit den
Doktoren und Magistern einen neuen Lehrer gewählt,
und dieser Fall wird kaum vereinzelt gewesen sein.
Vor allem haben die adligen Studenten das ganze
Mittelalter hindurch und auch noch später eine Vorzugs-
stellung gehabt; die Geburt wurde vielfach akademi-
schen Graden gleichgesetzt. Ein klassisches Beispiel
dafür ist die alte Festordnung der Wiener Universität.
Für feierliche Aufzüge wurden die Mitglieder in sieben
Ordnungen geteilt: In der ersten neben den Doktoren
der Theologie die studentischen Standespersonen vom
Grafen aufwärts, in der zweiten neben den Doktoren der
juristischen Fakultät die niederen Standesherren unter
den Studierenden, in der dritten der einfache studen-
tische Adel neben den Doktoren der Medizin; dann erst
kamen zwei Ordnungen des niederen Lehrkörpers, und
zuletzt die baccalarii und nichtadligen Scholaren.
Ferner waren Lehrende und Lernende anfangs nicht
streng geschieden, oder dieser Unterschied war doch
nicht ausschlaggebend für den Rang in der universitas;
die magistri z. B., die nicht lehrten, standen über den
niedrigsten Stufen der Lehrenden. Erst allmählich bil-
dete sich ein streng geschlossener Lehrkörper heraus,
der dann allerdings bald die Verwaltung der Universi-
tät für sich monopolisierte. Diese Entwickelung wird
namentlich bezeichnet durch den Sieg der Fakultäten
über die Nationen. Von Paris hatte man die Einteilung
in (zumeist vier) Nationen übernommen, in die Lehrer
und Lernende durcheinander eingetragen wurden und
in deren Versammlungen eben die Scholaren anfangs