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Akademische Mitteilungen für die Studierenden der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg: Sommer-Halbjahr 1905 — 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.74187#0061

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Akademische Mitteilungen
FÜR DIE
STUDIERENDEN DER RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT HEIDELBERG.
HERAUSGEGEBEN VON J. HÖRNING, UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI
Fernsprecher 119 HEIDELBERG Hauptstrasse 55 a.
Erscheint wöchentlich und wird unentgeltlich und frei allen Studierenden und Lehrern der Hochschule zugestellt.
Preis bei der Post vierteljährlich 75 Pfg. ausschliesslich Bestellgebühr.

Sommer-Halbjahr 1905.

Nr. 8.

Samstag, 24. Juni 1905.

Akademische Freiheit, Freie Studenten-
schäft und konfessionelle Verbindungen.*)
Von Paul Thorbecke.
Das Präsidium der hiesigen Freien Studentenschaft
hat mich gebeten, Ihnen zu diesem Punkt der Tages-
ordnung der Generalversammlung ein Referat zu halten;
ich glaube Ihrer aller Zustimmung sicher zu sein, wenn
ich nicht allein über die akademische Freiheit spreche,
wie auf der Tagesordnung steht, sondern mein Thema
so formuliere, dass ich äusser der akademischen Frei-
heit auch die Stellung der Freien Studentenschaft so-
wohl zu den konfessionellen Verbindungen wie zu den
Kämpfen gegen diese Verbindungen behandle. Von
einer Gefährdung der akademischen Freiheit kann
bei uns nicht die Rede sein, noch weniger wie in Preus-
sen; dagegen ist auch bei uns in Heidelberg der Kampf
gegen die konfessionellen Verbindungen begonnen wor-
den, der, wie ich Ihnen auszuführen habe, auf einer
durchaus intoleranten Auslegung des Begriffes „Aka-
demische Freiheit" beruht. Die Vorgänge in der letz-
ten Sitzung des Ausschusses der Studentenschaft, in
der, wie mir berichtet wurde, von der hiesigen Burschen-
schaft der Antrag gestellt war, den Beschlüssen des
Weimarer Studententages beizutreten, d. h. die hiesigen
konfessionellen Verbindungen aus dem Studentenaus-
schuss auszuschliessen, legen den Nichtinkorporierten,
die — wie ich wohl mit Recht annehmen darf — in
ihrer Majorität jenen Bestrebungen des D.C. und seiner
Anhänger, unter denen vor allem der „unpolitische" V.D.St.
zu nennen ist, durchaus gegnerisch gegenüberstehen, die
Verpflichtung auf, Stellung zu dem Vorgehen gegen die
konfessionellen Verbindungen zu nehmen und mit ihrer
gegenteiligen Meinung nicht zurückzuhalten. Für die
Organisationen der Nichtinkorporierten, die Freien Stu-
dentenschaften, wird jetzt die Entscheidung fallen, ob
sie auch fernerhin gesunde Realpolitik auf dem Gebiete
der akademischen Reform treiben wollen, oder ob auch
sie — wie die Mehrzahl der sich „liberal" nennenden
Korporationen — einseitige Bestrebungen, die von
aussen her in das akademische Leben hineingetragen

*) cf. hierzu von freistudentischer Literatur: Privatdozent Dr. Ohr-

Tübingen: Ein Wort über akademische Freiheit. Finkenblätter 1905,

Nr. 53. — Oberlehrer Dr. Ssymank-Rostock: Die freistudentische oder
Finkenschaftsbewegung an den deutschen Hochschulen (Comenius-
Blätter XIII, 4), Berlin 1905. Brennende Fragen. Finkenblätter 1905,
Nr. 56/57. Am Scheidewege. Finkenblätter 1905, Nr. 58/59. Die
Finkenschaftsbewegung. Leipzig, Lincke, 1901. Bausteine zum Finken-
schaftsprogramm. Karlsruher Hochschulzeitung S.-S. 1905, Nr. 2—4. —
Dr. R. Corwegh-Halle: Hochschulstreit und akademische Freiheit.
Finkenblätter 1905, Nr. 58/59. — Stud. C. Kleepsch: Offener Brief
an den Grafen Hoensbroech. Rheinische Hochschulzeitung (Bonn) 1905, ।
Nr. 2. — Akademische Freiheit! Das schwarze Brett. Leipziger Aka-
demische Mitteilungen 1905, Nr. 104.

sind, verfolgen wollen. Wäre das letztere der Fall, so
verletzten die Freien Studentenschaften, wie ich dar-
zulegen habe, damit ihr oberstes Prinzip!
Nötig ist auch, dass zur Kritik dieses Kampfes
gegen die konfessionellen Verbindungen vor allem er-
läutert wird, was „Akademische Freiheit" ist. Ich
glaube mit keinem Begriff ist in letzter Zeit ein will-
kürlicheres Spiel getrieben worden als mit diesem.
Was verstehen wir eigentlich unter aka-
demischer Freiheit? In seinem bekannten Buche:
„Der deutsche Student" sagt Ziegler*) —
dessen Darlegungen ich übrigens nicht immer zusam-
men kann, ganz abgesehen von der Kritik, die er an
der Finkenschaft und ihrem Programm übt — zu Be-
ginn des Abschnittes, der von dem Leben des deut-
schen Studenten handelt: „Dabei rede ich zuerst von
demjenigen Attribut desselben, das recht eigentlich
charakteristisch ist für den Studenten, von dem Attri-
but der akademischen Freiheit'. Auch Paulsen**) be-
ginnt in seinem Werke: „Die deutschen Univer-
sitäten" den Teil, der „Die Studierenden und das
akademische Studium" überschrieben ist, mit der Dar-
stellung des Wesens der akademischen Freiheit.***)
Das Wesen der heutigen akademischen Freiheit
lässt sich nach meiner Ansicht nur historisch erklären:
Mannigfache Wandlungen hat sie im Laufe der deut-
schen Geschichte durchgemacht. Im Mittelalter war
die Korporation „Universität" samt ihren Mitgliedern
eximiert von den weltlichen Gerichten; sie übte die
Jurisdiktion über ihre Angehörigen selbständig aus.
Dass die Universitäten autonom waren, das war die
akademische Freiheit.
Die Reformationszeit ändert diese Stellung:
Der klerikale Charakter der Universitäten geht ver-
loren, die Universitäts-Korporation wird säkularisiert,
sie kommt in Abhängigkeit vom Landesherrn. Was ihr
aber von ihrer alten Stellung verbleibt, ist die Gerichts-
barkeit; aber diese nur „verliehen" vom Landesherrn,
der zugleich oberste Instanz ist.
Die Folge dieser Aenderung, die den Magister von
der akademischen Gerichtsbarkeit befreite, den Studen-
ten aber unter die Disziplinargewalt seiner Lehrer
stellte, war eine fortwährende Konkurrenz zwischen
akademischer Disziplin und staatlicher Justiz. Diese
Konkurrenz kam dem Studenten zugut: Denn es lag ja
natürlich im Interesse der Magister, alle Klagen —
Zivil- wie Kriminalklagen — disziplinarisch zu behan-
*) Th. Ziegler: Der deutsche Student am Ende des 19. Jahr-
hunderts. 8. Auflage.
**) Paulsen: Die deutschen Universitäten und das Universitäts-
Studium. Berlin 1902.
***) Ich bin in meinen Ausführungen über die historische Ent-
wicklung der akademischen Freiheit vielfach Ziegler wie Paulsen gefolgt.
 
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