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Blass: Die attische Beredsamkeit.
Gegenstandes hier kaum zu erreichen steht, wiewohl der Verf.
sich am Ende mehr der Negative zuneigt. Gegen die Authenticität
der Verteidigungsrede für Palamedes, d. h. die Autorschaft des
Gorgias lasse sich, meint er, Vieles vorbringen, gegen die Annahme,
dass ein Nachahmer des Gorgias sie verfasst, nicht das Geringste.
»Denken wir uns, fährt er dann fort, dass ein späterer Rhetor die
Schrift περί φυΰεως und einige Prunkreden des Gorgias vor sich
hatte, so konnte derselbe aus diesem Material und aus den Hilfs-
mitteln der entwickelten Technik eine solche Rede ohne Mühe her-
stellen. Wir wissen, dass zur Kaiserzeit Gorgias studirt wurde,
wir wissen nicht, dass die Rede vor dieser Zeit vorhanden war.
Dasselbe gilt von der Helena: man kann die Annahme einer Fäl-
schung mit Nichts widerlegen. Und so mögen denn diese beiden
Reden unter dem Verdacht der Unächtheit bleiben; ein entschie-
denes Urtheil zu fällen steht uns nicht an.“
Die beiden folgenden Abschnitte Cap. III S. 79 ff. und Cap.
IV S. 136 ff. sind dem Antiphon gewidmet in der Weise, dass
in dem dritten Cap. von dem Leben und den Schriften desselben
gehandelt wird und die Reden desselben genau verzeichnet werden,
woran sich eine weitere Betrachtung über den Charakter Antiphon’s
im Allgemeinen und seine Stellung wie Bedeutung als Rhetor und
Redner anschliesst; Gegenstand des vierten Capitels bilden die
einzelnen Reden desselben, welche hier nach ihrem Inhalt durch-
gangen und gewürdigt werden. In dem Urtheil über Antiphon,
der allerdings als Hauptvertreter und Bildner der ersten kunst-
mässigen Beredsamkeit erscheint, schliesst sich der Verf. und wohl
mit Recht an Thucydides an, dessen ehrenvolles Zeugniss (VIII, 68)
als das eines gewiss competenten Zeugen hier in seiner vollen Be-
deutung anerkannt wird (S. 85) und in ähnlichem Sinn hat sich
der Verfasser auch über seine Verurtheilung und Hinrichtung aus-
gesprochen, die er von den verschiedenen Seiten aus in Betrach-
tung genommen hat; wenn die Gesandtschaft nach Lacedämon als
ein Hauptgrund des Vorwurfes der Verrätherei erscheint, so hätte,
meint der Verfasser, Antiphon, wenn er sich deren bewust gewesen,
die Gelegenheit aus Athen zu fliehen, gleich den Andern benutzen
können, was er jedoch nicht that. »Wie dem aber auch sei (so
schliesst der Verfasser S. 90), wir können ibn keinesfalls auf gleiche
Stufe mit Phrynichos oder Peisandros stellen, denen Thucydides
weit entfernt ist, einen hohen Grad von αρετή nachzuahmen, und
werden glauben müssen, dass auch hier die verhältnissmässig Besten
und Ehrenwerthesten für die Sünden ihrer nichtswürdigen Genossen
mit gebüsst haben.« Wenn dem Antiphon als Redner die kunst-
reiche Oekonomie und die figurenreiche Sprache eines Demosthenes
abgeht, so hat doch Antiphon eben so wohl in Erfindung der Ge-
danken und in der Anordnung derselben, wie in dem wundervollen
Ausdruck des Gefundenen Ausgezeichnetes geleistet: schon die Alten,
wie Cäcilius haben darauf hingewiesen, der Verfasser aber im
Blass: Die attische Beredsamkeit.
Gegenstandes hier kaum zu erreichen steht, wiewohl der Verf.
sich am Ende mehr der Negative zuneigt. Gegen die Authenticität
der Verteidigungsrede für Palamedes, d. h. die Autorschaft des
Gorgias lasse sich, meint er, Vieles vorbringen, gegen die Annahme,
dass ein Nachahmer des Gorgias sie verfasst, nicht das Geringste.
»Denken wir uns, fährt er dann fort, dass ein späterer Rhetor die
Schrift περί φυΰεως und einige Prunkreden des Gorgias vor sich
hatte, so konnte derselbe aus diesem Material und aus den Hilfs-
mitteln der entwickelten Technik eine solche Rede ohne Mühe her-
stellen. Wir wissen, dass zur Kaiserzeit Gorgias studirt wurde,
wir wissen nicht, dass die Rede vor dieser Zeit vorhanden war.
Dasselbe gilt von der Helena: man kann die Annahme einer Fäl-
schung mit Nichts widerlegen. Und so mögen denn diese beiden
Reden unter dem Verdacht der Unächtheit bleiben; ein entschie-
denes Urtheil zu fällen steht uns nicht an.“
Die beiden folgenden Abschnitte Cap. III S. 79 ff. und Cap.
IV S. 136 ff. sind dem Antiphon gewidmet in der Weise, dass
in dem dritten Cap. von dem Leben und den Schriften desselben
gehandelt wird und die Reden desselben genau verzeichnet werden,
woran sich eine weitere Betrachtung über den Charakter Antiphon’s
im Allgemeinen und seine Stellung wie Bedeutung als Rhetor und
Redner anschliesst; Gegenstand des vierten Capitels bilden die
einzelnen Reden desselben, welche hier nach ihrem Inhalt durch-
gangen und gewürdigt werden. In dem Urtheil über Antiphon,
der allerdings als Hauptvertreter und Bildner der ersten kunst-
mässigen Beredsamkeit erscheint, schliesst sich der Verf. und wohl
mit Recht an Thucydides an, dessen ehrenvolles Zeugniss (VIII, 68)
als das eines gewiss competenten Zeugen hier in seiner vollen Be-
deutung anerkannt wird (S. 85) und in ähnlichem Sinn hat sich
der Verfasser auch über seine Verurtheilung und Hinrichtung aus-
gesprochen, die er von den verschiedenen Seiten aus in Betrach-
tung genommen hat; wenn die Gesandtschaft nach Lacedämon als
ein Hauptgrund des Vorwurfes der Verrätherei erscheint, so hätte,
meint der Verfasser, Antiphon, wenn er sich deren bewust gewesen,
die Gelegenheit aus Athen zu fliehen, gleich den Andern benutzen
können, was er jedoch nicht that. »Wie dem aber auch sei (so
schliesst der Verfasser S. 90), wir können ibn keinesfalls auf gleiche
Stufe mit Phrynichos oder Peisandros stellen, denen Thucydides
weit entfernt ist, einen hohen Grad von αρετή nachzuahmen, und
werden glauben müssen, dass auch hier die verhältnissmässig Besten
und Ehrenwerthesten für die Sünden ihrer nichtswürdigen Genossen
mit gebüsst haben.« Wenn dem Antiphon als Redner die kunst-
reiche Oekonomie und die figurenreiche Sprache eines Demosthenes
abgeht, so hat doch Antiphon eben so wohl in Erfindung der Ge-
danken und in der Anordnung derselben, wie in dem wundervollen
Ausdruck des Gefundenen Ausgezeichnetes geleistet: schon die Alten,
wie Cäcilius haben darauf hingewiesen, der Verfasser aber im