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Blass: Die attische Beredsamkeit.

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Einzelnen Beides noch näher nachzuweisen gesucht; die ausführ-
liche Darlegung, welche im vierten Capitel von den einzelnen Reden
gegeben wird, liefert dazu den Beleg. 4
Das fünfte Capitel (S. 195 ff.) wirft einen näheren Blick auf
Thucydides, der in seinen Reden auch noch als ein Vertreter
des älteren archaistischen Styls erscheint, und in einer bei Cacilius
und Andern vorkommenden Angabe, sogar als Schüler des Antiphon
bezeichnet wird, was übrigens kaum als sicher und ausgemacht
gelten kann (vgl. S. 201). Der Verfasser, nachdem er über das
Leben, oder vielmehr die Lebenszeit des Thucydides Einiges be-
merkt hat, geht sofort zur Betrachtung seiner Reden über, wobei
er seinen Ausgangspunkt von der Darstellung nimmt, welche schon
im Alterthum Dionysius von Halicarnass diesem Gegenstand ge-
widmet hatte; insbesondere wird hier auch die allerdings wesent-
liche Frage einer näheren Erörterung unterstellt, in wie weit die
in dem Geschichtswerk des Thucydides vorkommenden Reden dem,
welcher sie hält, und in wie weit dem, welcher sie uns mittheilt,
angeboren. Wenn Thucydides versichert (I, 22) sich so nahe wie
möglich an den Gesammtinhalt des wirklich Gesprochenen gehalten
zu haben, mag er selbst dasselbe mit angehört oder von Andern
vernommen haben, so ist, wie wir glauben, gewiss kein Grund vor-
handen, an der Wahrheit dieses Zeugnisses irgend wie zu zweifeln:
»aber, meint der Verfasser (S. 229) in allen Fällen steht er doch
seinem Stoffe als frei gestaltender Künstler gegenüber: es sind
Reden des Thucydides, nicht des Pericles oder des Kleon, falls man
mit Recht den als Verfasser eines Werkes bezeichnet, der einige
wenige ihm gegebene Grundgedanken ausgeführt, geordnet und
ihnen den sprachlichen Ausdruck verliehen hat. Dieser gehört
durchweg, oder doch fast durchweg, dem Thucydides und daher
spricht nun der Athener wie der Lakedämonier, Perikies wie Kleon
und Brasidas, was die Form der Rede und den Ausdruck anbe-
langt.« üeberhäupt ist der Verf. geneigt, die gesammte Oekonomie,
wie die Anordnung der Gedanken als ein Werk des Geschicht-
schreibers zu betrachten; so wenig allerdings es sich jetzt nach-
weisen lässt, was bei jeder einzelnen Rede aus dem wirklich Ge-
sprochenen aufgenommen, und was als freie Zuthat des Geschicht-
schreibers anzusehen ist, so glauben wir doch, dass das zu bestimmt
ausgesprochene Zeugniss des Geschichtschreibers selbst jeden Ein-
fluss desselben auf den eigentlichen Inhalt der Rede fern gehalten
hat und dass, um ein Beispiel zu gebrauchen, in dem gerade in
dieser Beziehung so viel besprochenen Zwiegespräch der Athener
und Melier am Schluss des fünften Buches, die hier dem Vertreter
Athens in den Mund gelegten Gedanken und Ansichten der Wirk-
lichkeit angehören und in so fern uns ein treues Bild der Grund-
sätze attischer Politik abgeben können. Uebrigens erkennt der
Verf. in diesen Reden die Glanzpunkte des ganzen Werkes, auf
welche alle Kunst und Sorgfalt verwendet worden, und sucht dies
 
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