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Ed. Heyck.
Versuche zu sagen, wie gross die Hundertschaft bestimmt war, sind
denn bisher auch noch nicht mit allgemeiner Zustimmung geglückt.
Nun fragt sich weiter: zu welchem Zweck entstand die Hundert-
schaft? Wir sahen die Sippe entstehen als einen Verband, der seine
Angehörigen schützen wollte nach innen und nach aussen, der sich da-
her phalanxmässig abschloss, dem seine Ordnungen dazu dienten, den
Einzelnen absolut zu hindern, für sich allein die Phalanx in irgend etwas
zu durchbrechen, also dieser ihre Stärke und unverbrüchliche Solidarität
erhielten. Wenn daher ihr Vorhandensein es auch in den meisten Fällen
rätlich machte, von schlimmem Streit abzulassen, wenn sie die Einzel-
fälle von Gewaltthat verringerte — wie es nach den Ergebnissen von
aufmerksamen modernen Beobachtern die Blutrache, wo sie noch besteht,
thatsächlich überall tliut —, so machte es doch den einmal entfachten
Streit desto grimmiger. So ward es denn wünschenswert und im Fort-
schritt der Kultur erreicht, dass irgend etwas über dem schroffen Gegen-
einanderstehen von Sippe gegen Sippe waltete, ihren Händeln einen
friedlichen Ausweg öffnete oder, wenn das nicht möglich war, ihrer
Fehde gewisse Normen verbürgte. Diese Einrichtung ist die Hundert-
schaft. Wir kennen sie aus den geschriebenen Quellen ohne jede Un-
klarheit als Gerichts verband und sehen auch, dass das ihre wesentlichste
Eigenschaft blieb. Weil sie aber als alte freiwillige Vereinigung der
Sippen entstanden ist, nicht als die junge Unterabteilung eines grösseren
Staatswesens, darum richtet denn auch in ihr nicht ein von einem sol-
chen gesetzter Richter oder richterlicher Körper, sondern ist das Ur-
sprüngliche und das bis in die historische Zeit hinein entweder unmittelbar
Erhaltene oder doch nur erst leise und lediglich praktisch Veränderte,
dass die freie Gemeinde der zur Hundertschaft Zusammengeschlossenen
richtet. Den ihr hier beigelegten Charakter und ihre Entstehung lange
vor der Zeit des Ansässigwerdens verbürgt auch das, dass sie aus der
Wanderzeit her ein persönlicher, nicht an räumliche Grenzen gebundener
Verband blieb bis weit in die deutsche Königszeit hinein, wie kürzlich
festgestellt wurde, wenn auch immerhin diese persönlichen Genossen-
schaften für ihre richterlichen Zwecke sich seit dem Ansässigwerden je
eine feste Malstätte gewählt hatten.
Die nächste Bildung nach der Hundertschaft ist die Völkerschaft.
Die Bildung der Hundertschaft hatte dem Kampfe der für ihre Leute
eintretenden Sippen gegen einander eine gewisse Einschränkung auferlegt,
durch die Anbahnung friedlicher Entschädigung und Sühne. Entschä-
digung, denn die Hundertschaft straft nicht, sie gleicht aus: zur Strafe
Ed. Heyck.
Versuche zu sagen, wie gross die Hundertschaft bestimmt war, sind
denn bisher auch noch nicht mit allgemeiner Zustimmung geglückt.
Nun fragt sich weiter: zu welchem Zweck entstand die Hundert-
schaft? Wir sahen die Sippe entstehen als einen Verband, der seine
Angehörigen schützen wollte nach innen und nach aussen, der sich da-
her phalanxmässig abschloss, dem seine Ordnungen dazu dienten, den
Einzelnen absolut zu hindern, für sich allein die Phalanx in irgend etwas
zu durchbrechen, also dieser ihre Stärke und unverbrüchliche Solidarität
erhielten. Wenn daher ihr Vorhandensein es auch in den meisten Fällen
rätlich machte, von schlimmem Streit abzulassen, wenn sie die Einzel-
fälle von Gewaltthat verringerte — wie es nach den Ergebnissen von
aufmerksamen modernen Beobachtern die Blutrache, wo sie noch besteht,
thatsächlich überall tliut —, so machte es doch den einmal entfachten
Streit desto grimmiger. So ward es denn wünschenswert und im Fort-
schritt der Kultur erreicht, dass irgend etwas über dem schroffen Gegen-
einanderstehen von Sippe gegen Sippe waltete, ihren Händeln einen
friedlichen Ausweg öffnete oder, wenn das nicht möglich war, ihrer
Fehde gewisse Normen verbürgte. Diese Einrichtung ist die Hundert-
schaft. Wir kennen sie aus den geschriebenen Quellen ohne jede Un-
klarheit als Gerichts verband und sehen auch, dass das ihre wesentlichste
Eigenschaft blieb. Weil sie aber als alte freiwillige Vereinigung der
Sippen entstanden ist, nicht als die junge Unterabteilung eines grösseren
Staatswesens, darum richtet denn auch in ihr nicht ein von einem sol-
chen gesetzter Richter oder richterlicher Körper, sondern ist das Ur-
sprüngliche und das bis in die historische Zeit hinein entweder unmittelbar
Erhaltene oder doch nur erst leise und lediglich praktisch Veränderte,
dass die freie Gemeinde der zur Hundertschaft Zusammengeschlossenen
richtet. Den ihr hier beigelegten Charakter und ihre Entstehung lange
vor der Zeit des Ansässigwerdens verbürgt auch das, dass sie aus der
Wanderzeit her ein persönlicher, nicht an räumliche Grenzen gebundener
Verband blieb bis weit in die deutsche Königszeit hinein, wie kürzlich
festgestellt wurde, wenn auch immerhin diese persönlichen Genossen-
schaften für ihre richterlichen Zwecke sich seit dem Ansässigwerden je
eine feste Malstätte gewählt hatten.
Die nächste Bildung nach der Hundertschaft ist die Völkerschaft.
Die Bildung der Hundertschaft hatte dem Kampfe der für ihre Leute
eintretenden Sippen gegen einander eine gewisse Einschränkung auferlegt,
durch die Anbahnung friedlicher Entschädigung und Sühne. Entschä-
digung, denn die Hundertschaft straft nicht, sie gleicht aus: zur Strafe