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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0012
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Carl Neumann

Die andere grosse Gruppe, die wir wahrnehmen, das Italien, dem
allein die folgenden Betrachtungen gewidmet sind, beginnt an der Adria
mit Venedig, mit Pisa auf der anderen Seite und umfasst von hier die
Mitte und den Süden der Halbinsel. Wold hat die lombardische Kunst
auch in dieses Gebiet Vorstösse gemacht, die gelegentlich bis gegen
Rom hin reichen. Aber vereinzelt wie sie sind, ändern sie nichts an
dem allgemeinen Charakter der Kunstzustände in diesen Gebieten.

Welches ist nun der gemeinsame Charakter der Kunst in diesen
grossen Zentren: Venedig, Pisa, Rom, Palermo? Am besten kann man
ihn negativ bestimmen: Mangel an Originalität in der Erfindung. Monu-
mentale Absicht ist an manchen Stellen im höchsten Grad vorhanden;
aber die Mittel, die ihr dienen, sind befangen in eklektischer, mehr
oder minder geschickt kombinierender Nachahmung, und ihren Haupt-
trumpf spielt sie aus mit der Entfaltung von Luxus und Pracht, mit
der Stoffwirkung kostbaren Materials. Die Gedanken dieser Kunst sind
nicht neu und nicht stark, aber sie will blenden.

Das mächtigste Staatsgebilde der Halbinsel war seit dem zwölften
Jahrhundert zweifellos das sizilisch-nonnannische Königreich. Gegründet
von kühnen Konquistadoren und befestigt durch steten Nachschub aus
der Heimat, hatte es eine Herrenkaste, zusammengewürfelt aus all den
Elementen, die von jeher in Kolonialgebieten ihr Glück gesucht haben,
Leuten, die zu Haus nichts zu verlieren hatten, jüngeren Söhnen, Men-
schen, die eine Blutschuld auf der Seele hatten. An die fette Schüssel
süditalischen Reichtums gesetzt, zwang sie doch das gemeinsame Interesse
gegenüber den unterworfenen Nationalitäten zu einer Fügsamkeit und
Unterordnung unter ein monarchisches Regiment, welches rücksichts-
loser als es auf angestammtem Boden möglich gewesen wäre, seine
Macht übte. Die ausserordentlichen Geldmittel, über welche diese Mo-
narchie, die Erbin byzantinischer und arabischer Verwaltungen, verfügte,
gaben ihr ein Ansehen ohne gleichen: aus dem Mund Bernhards von
Clairvaux hört man sie als die Mustermonarchie preisen. Dass die Nor-
mannen es verstanden, durch offene Hand und offenen Beutel sich die
geistlichen Gewalten zu verbinden, hierüber ist von der Normandie bis
nach Monte Kassino nur eine Stimme. Sie waren grosse Sünder, aber
sie liessen es nicht an sichtbaren Zeichen ihrer Busse fehlen; die glän-
zenden Kirchenbauten geben davon Zeugnis.

Die grosse Bauthätigkeit der normannischen Fürsten floss nicht aus
einem Kunstsinn wie bei einem Medicäer in Florenz oder Rom; sie war
 
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