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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0027
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Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert

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in dem die römischen Marmormosaizisten sich doctissimi nennen. Alle
Kopistenfertigkeit und alle Häufung bildnerischen Schmucks kann nicht
für den Mangel jeder Spur von Naturempfindung Ersatz geben.

Die Kunst der grossen Zentren Mittel- und Süditaliens blickt noch
immer nach rückwärts. Es ist immer noch dieselbe Verfallsbewegung
wie seit Jahrhunderten. Die grossen Anstrengungen und stellenweise
reichen Mittel können nicht verbergen, dass sie über selbständige Ke-
gungen nicht verfügt, dass sie kein Stilgefühl besitzt. Auch da, wo die
Gothik aufgenommen wird, erscheint diese Kunst um nichts moderner;
denn ihr Grundtrieb, die Kichtung auf Prunk, bleibt der gleiche; ihm
wird auch die gothische Dekoration dienstbar gemacht, einerlei, welchen
Wurzeln sie entstammt.

Man müsste sich hüten, im Umkreis dieser Schulen des zwölften
Jahrhunderts von Vorrenaissance zu sprechen. Geburt ist Leben;
Wiedergeburt erst recht Leben, erhöhtes Leben. Was aber haben damit
jene Galvanisierungsversuche an einer vergangenen, in ihren Grundge-
danken fremdgewordenen Kunst zu schaffen?

Die Betrachtung erhebt sich von hier gern noch einmal zu allge-
meineren Dingen und kommt zu der Frage, ob dieser Zustand der Kunst
jener Zeiten nicht vielleicht typisch sei für die allgemeine Kultur eines
grossen Teiles der italienischen Halbinsel. Wenn dies der Fall war,
und dieses Land, in dem die alten Ideen und Formen noch eine Autorität
genossen, an der neue Anläufe ohne rechten Erfolg rüttelten, wenn Italien,
mit dem übrigen Abendland verglichen, stehen geblieben war, in seinem
reaktionären Dasein wenig berührt von dem Strom der neuen mittel-
alterlichen Zivilisation, so wird man verstehen, welch verhängnisvollen
Pakt die hohenstaufischen Kaiser mit diesem Land schlossen, als sie
in Sizilien den Archimedespunkt suchten, um von hier die lombardischen
und die noch schwerer zu verschiebenden deutschen Dinge zu bewegen
und zu beherrschen.

Sie sind an dieser Verbindung mit den Mächten der Vergangenheit
genau so gescheitert wie früher, so viele Jahrhunderte zuvor, die Gothen
und die Langobarden.

NEUE HEIDELB. JAHRBUECHER V.

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