Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Schröder, Richard: Eine Selbstbiographie von Fritz Reuter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0029
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Eine Selbstbiographie von Fritz Reuter

19

Sohnes (der bald starb) gelähmt und bat bis zu ihrem Tode (1825)
den Gebrauch ihrer Glieder nicht wieder erhalten. Desto reger war ihr
Geist und schon früh wusste sie den Sohn für die grossen Dichter deut-
scher Nation zu enthusiasmiren. Hier half denn auch der Pathe, Amts-
hauptmann Weber, der mit Onkel Herse so ziemlich den einzigen Um-
gang der Eltern bildete1). Der Knabe suchte sich den letzteren im
weiteren Kreise unter den Bürgersöhnen, vor Allem aber unter den
Söhnen des Pächter Nahmacher auf dem hart an der Stadt gelegenen
Altbauhofe. Nachdem in dem elterlichen Hause noch zwei Vettern (wenig
älter) aufgenommen waren, wurde bis zum Jahre 1824 der Unterricht
für die Knaben durch Hauslehrer beschafft. Von da ab besuchte er
mit dem einen Vetter (jetzt Pastor zu Tessin) die Schule zu Friedland
in Mecklenburg-Strelitz, die sich damals eines durch Turnen gehobenen,
rüstigen Jugendlebens erfreute. Geschichte, Geographie, Mathematik
und Zeichnen waren die Lehrgegenstände, die dem Knaben am meisten
zusagten, und nach drei Jahren erklärte er, Maler werden zu wollen.
Dies stimmte aber schlecht zu den Wünschen des Vaters, der einen
Juristen aus ihm ziehen wollte; er brachte ihn desshalb durch Ver-
setzung nach Parchim (einem damals neuorganisirten Gymnasium) in
andere Umgebungen, wo der Zeichnenunterricht aufhören musste. Hier
blieb Reuter bis zum Abgänge zur Universität Rostock (1831 Michaelis),
wo er dann auch, allerdings mit innerm Widerstreben, Institutionen und
Rechtsgeschichte hörte, und dann nach Verlauf eines halben Jahres nach
Jena ging2). Er trat hier in die Burschenschaft und zwar in die Frak-
tion (Germania), die sich in Folge der Julirevolution und des polnischen
Aufstandes in ihrer Art mit Politik befasste. — Im Herbste 1833 wurde
er desshalb in Preussen verhaftet und zur Untersuchung gezogen. Er

D Ich entsinne mich einer Anekdote aus Reuter’s Jugendjahren, die er gern
erzählte. Einer der beiden alten Herren (ich weiss nicht mehr welcher) ärgerte
sich darüber, dass die Knaben, wenn sie Geschichten erzählten, alle Augenblicke
stockten und dann mit „Un dünn“ fortfuhren. Er setzte einen Schilling als Preis
aus für denjenigen, der eine Geschichte ohne „Un dünn“ vortragen würde. Fritz
Reuter brachte dies fertig, schloss aber seine Erzählung mit den triumphierenden
Worten: „Un dünn kreeg ick’n Schilling“, was den Onkel dann sehr unpädagogisch
veranlasste, nun doch den Schilling zu verweigern, mit den Worten: „Un dünn was
de Schilling weg“.

2) Auf dem Gymnasium hatte Reuter den Beinamen „Charles douze“ erhalten.
Als er nach Jena ging, hoffte er, wie er mir erzählt hat, diesen Namen endlich los
zu werden, aber schon am ersten Abend in Jena begrüsste ihn bei seinem Eintritt
in eine Wirtsstube eine Stimme aus dem Hintergründe: „Süh, Charles douze, wo
kümmst du her?“ Damit war der Name für ihn verewigt.
 
Annotationen