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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Cantor, Moritz: Zahlensymbolik: Vortrag, gehalten in Heidelberg am 18. Dezember 1894
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0053
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Zahlensymbolik

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mathematische Begabung, und Beides vereinigt, Hess ihn besonderes
Augenmerk auf die geheimnisvollen Zahlen im Buche Daniel und in der
Offenbarung des Johannes richten. Versiegle, was die 7 Donner ge-
redet haben, heisst es in der Offenbarung, und Stifel verstand das so,
die geheimnisvollen Zahlen bedeuteten Sätze, deren einzelne Buchstaben
mit Zahlenwerten zu versehen und dann zusammenzuzählen seien. Aus
dem Zahlenalphabete der Griechen oder der Hebräer wusste Stifel dieses
nicht, denn er war beider Sprachen unkundig, man muss daher an-
nehmen, es habe überhaupt in der Sitte der Zeit gelegen, mystischem
Zahlenfirlefanz nachzuspüren, was sicherlich im letzten Zusammenhänge
von jenen spätpythagoräischen Anfängen stammte, wovon aber der Ur-
sprung in Vergessenheit geraten war.

Die Zahlen, welche Stifel den Buchstaben zuordnete, waren nicht
die, welche ich vorher als im Zahlenalphabete üblichen geschildert habe,
sondern die Dreieckszahlen. So nannte man und nennt man noch
die Anzahl von Punkten, welche, unter einander gereiht mit je einem
Punkte mehr in jeder folgenden Zeile, das Bild eines gleichzeitigen
Dreiecks abgeben. Die Zahl 1 ist uneigentlich als erste Dreieckszahl,
die Summe der Zahlen 1 und 2 oder 3 als zweite Dreieckszahl benannt.
Dritte Dreieckszahl ist die Summe von 1, 2, 3 oder 6, vierte demnach
10, dreiundzwanzigste 276, und somit bedeutet für Stifel a 1, b 3, c 6,
d 10, . . . z 276. Dabei ist k als 10. Buchstabe mit der Zahl 55 ver-
sehen, v als 20. Buchstabe mit der Zahl 210, u und w sind unberück-
sichtigt gelassen. Nun bildete Stifel eine ganze Reihe von lateinischen
Sätzen, dieweil „in dieser sach die lateinische reclmung mehr gelte denn
die Griechische oder Hebräische“, und rechnete emsig darauf los. Er
zeigte auch seine Rechnung einmal Luther, als er bei ihm in Witten-
berg zu Gast war. Der aber meinte, es sei nichts Gewisses daran, und
so liess ich’s, erzählt Stifel in einem Buche von 1553, welches als Quelle
für alle diese Dinge dient, „liess ich’s gar fallen bis auff das Jar 1532.“
In diesem Jahre liess Stifel in Wittenberg ein kleines Büchlein ohne
Verfassernamen drucken „Ein Rechenbüchlein Vom End Christ. Apo-
calypsis in Apocalypsin.“ Den Weltuntergang, so lehrt das Büchelchen,
weissage die heilige Schrift. Zwar setze das Evangelium Markus der
Weissagung hinzu, von dem Tage und der Stunde wisse Niemand, auch
die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der
Vater, aber dieses Nichtwissen habe nur Geltung für jene Zeit, als die
Weissagung ausgesprochen wurde. Jetzt stehe der jüngste Tag un-
mittelbar bevor, und jetzt sei es gelungen, aus den Zahlen des Buches
 
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