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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 2
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Heyck, Eduard: Die Staatsverfassung der Cherusker
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0144
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Eduard Heyck

ein Neffe von ihm Spott mit der Leiche des von ihm selber geschätzten
Präfekten treibt (Tac. Ann. 1, 71). Die politischen Wünsche und Ziele
der Cheruskeroberen finden ihre Grenze in der Unterordnung unter den
.Gesamtwillen des Volkes, auf den sie jedoch alle nach Möglichkeit Ein-
fiuss üben, und im Falle eines Konfliktes mit dieser souveränen Majorität
haben sie sich zu fügen, wie Segestes und Armin in uns bekannten Fällen
thun, oder auszuwandern, wie es Segestes später und ebenso Inguiomer
thut.

Andererseits muss betont werden, dass in der gesamten Geschichte
des Aufstandes gegen Varus und der späteren Abwehrkriege gegen Ger-
manicus, wie Velleius, Strabo, Tacitus, Cassius Dio und Andere sie
schildern oder erwähnen, ausserhalb des ganz bestimmten, sogleich zu
besprechenden Kreises von Führern, „principes“, keine einzige sonstige
Persönlichkeit mit Vorschlägen auftritt oder sich in die Beschlussfas-
sungen einmengt, und dass alle Opposition, die es von Fall zu Fall zu
überwinden gilt, alle Meinungsverschiedenheit immer ihren Ausgang inner-
halb jenes engeren Kreises nimmt. Die souveräne Volksgemeinde über-
lässt sich doch völlig der Führerschaft dieses bestimmten Kreises, fällt
wohl das eine mal lieber Diesem, das andere mal Jenem bei, folgt aber
niemals einer von plötzlich auftretenden sonstigen Persönlichkeiten ge-
wiesenen Meinung und ist unfähig, etwas zu unternehmen, sobald die
gewohnten und allein als solche betrachteten Führer fehlen. Nihil au-
surarn plebem, principibus amotis (Tac. Ann. 1, 55), sagt Segest dem
Varus und rät ihm, alle principes, ihn selber mit, gefangen zu nehmen;
in demselben Augenblick, wo die Cherusker und ihre Bundesgenossen
zum Losschlagen bereit stehen, würden sie sich also nicht einmal im
Stande gefühlt haben, ihre gefangenen Führer zu befreien oder zu rächen.
Es ist so, wie die Germania (c. 11) es zusammenfasst: Consultant de
maioribus [rebus] omnes, ita tarnen, ut ea quoque, quorum penes plebem
arbitrium est, apud principes pertractentur. Es handelt sich, wo wirs
beobachten, nie um die Schwierigkeit, die Meinung der unter einander
einverstandenen Führer gegen ein Widerstreben der Volksgemeinde durch-
zudrücken, sondern stets darum, für die Meinung eines einzelnen oder
einer Gruppe d. h. Partei der Führer gegen die der Übrigen die Zu-
stimmung, den frohen Waffenklang der Menge zu gewinnen. Dabei ist,
wenn wir von Parteimeinung sprechen, der menschlich so naheliegende
Fall inbegriffen, dass einer der Führer gegen bessere Überzeugung doch
einer in der Menge vorhandenen Neigung zum Ausdruck verhilft, um
Volksbeliebtheit und Einfluss zu erlangen oder zurückzugewinnen; so
 
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