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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 2
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Wille, Jakob: Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0202
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J. Wille

Im Schlosse zu Heidelberg war vorerst keine Luft, in welcher eine
heran wachsende Prinzessin Achtung vor dem Heiligtum der Familie ge-
winnen konnte. Karl Ludwigs Ehe mit der launigen lieblosen Charlotte
von Hessen war bekanntlich keine glückliche, sie führte zu bedauerns-
werten Familienscenen, zur dauernden Trennung, zur Vermählung des Kur-
fürsten mit dem anmutigen Hoffräulein Luise von Degenfeld. Aus dieser
Ehe sind zahlreiche Kinder, die Raugrafen und Raugräfinnen der Pfalz,
hervorgegangen, von denen besonders Luise dauernd mit Elisabeth Char-
lotte in Freundschaft verbunden war. Aus diesen traurigen Familien-
verhältnissen heraus wird die siebenjährige Liselotte mit ihrer Erzieherin,
einem Fräulein von Uffeln, der späteren Frau von Harling4), zu Sophie
nach Hannover geschickt. Sie wird als eine gesunde, kräftige Natur, als
ein fröhliches ausgelassenes Kind5) geschildert, das wilden Spielen zuge-
neigt, lebendig und immer in den Lüften war, dem Blatte gleich, das vom
Sturmwind aufgetrieben wird — Rauscheblattknecht hat man sie ge-
nannt. Dabei war sie schon früh ein geistig aufgewecktes Kind. „Sie hat
einen Verstand“, schreibt Sophie von Hannover, „wie jemand von zwanzig
Jahren, aber man muss viel erinnern, sonst geht es holter die polter“.
Vier Jahre hat Liselotte in Hannover und in Herrenhausen oder auf dem
hochgelegenen Schlosse Iburg, welches Ernst August als evangelischer
Bischof von Osnabrück bezogen hatte, unter der treuen Fürsorge ihrer
Tante zugebracht. Diese glückliche Zeit ist ihr nie aus dem Gedächtnis
geschwunden und ward festgehalten in dem merkwürdigen Briefwechsel
zwischen Sophie und Liselotte, durch welchen die geistreiche Frau dauernd
einen Einfluss auf alle Lebensanschauungen ihrer Nichte gewonnen hat.
„Euer Liebden Schreiben“, sagt sie selbst, „sind ein Teil von meinen
Reliquien, so ich am meisten verwahre, weillen Euer Liebden die einzige
Heilige sein, wodurch mir die grosse Gnade von Gott erwiesen worden
und welche mir am meisten Gutes gethan haben“. Erst auf Grund dieses
Briefwechsels0), dessen vollständige unverkürzte Veröffentlichung wir
Eduard Bodemann in Hannover verdanken, der sich überhaupt um die Er-
forschung der Zeit Karl Ludwigs bleibende Verdienste erworben hat, ist
es uns möglich, das Charakterbild der Liselotte in seiner vollen Wahr-
heit zu erfassen. Der bändestarke, so originelle Briefwechsel mit den
Raugräfinnen könnte uns ein Fehlen der Briefe an Sophie auch nicht
annähernd ersetzen. Ihre Liebe zu Sophie aber ist zugleich getragen
von der Ehrfurcht vor deren geistigen Grösse! „Euer Liebden, sagt sie
einmal später, „mögen deutsch oder französisch schreiben, so spürt man
deren hohen Geist in Allem“. Sie ist ihr „das lustre von allen Höfen
 
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