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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 2
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Wille, Jakob: Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0233
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Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte

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ein Schatz unserer damals so kümmerlich unbeholfenen Sprache, auch für
die Geschichte unseres Volkslebens von Wert, so warm, so heimatlich
klingen sie herüber aus dem Sprachkreise einer fremden Zunge.

Auf Grund dieses Briefwechsels, der eigentlich erst durch die Ver-
öffentlichung der Briefe an Kurfürstin Sophie von Hannover besonderen
historischen Wert erhalten hat, und auf Grund der fast übereinstimmen-
den Urtheile französischer Zeitgenossen habe ich mit absichtlicher Um-
gehung ihrer äusseren bekannten Lebensumstände das Bild der Liselotte
aus der Zeitgeschichte heraus zu verstehen versucht und teile bei aller
Sympathie für diese merkwürdige Frau, wie Sie sehen, nicht alle Auf-
fassungen ihrer bisherigen Biographen.

Was ist nun aber der Inhalt dieses historischen Charakterbildes?
Liselotte stand auf der Höhe der Gesellschaft am mächtigsten Hofe
Europas, als Schwägerin eines Königs, der einem ganzen Zeitalter den
Namen gab und doch bewegen sich ihre äusseren Lebensverhältnisse
nicht auf dem Boden grosser Geschichte, tragische Konflikte, in denen
so manche Fürstin auf der grossen Weltbühne zu Grunde ging, blieben
ihr ferne, bei allen Gegensätzen, in die ihr verfehltes Leben hinein-
geriet, kann man doch nicht sagen, dass sie für eine politische oder
religiöse Ueberzeugung geduldet habe. Was ihr auch das Leben gebracht
hat, es sind Erfahrungen, wie sie das Schicksal nun einmal dem einen
oder anderen bringt, ob er in Palast oder Hütte wohnt. Sie war recht
unglücklich verheiratet. Sie hat den Ausspruch gethan, „dass an einer
Hand lahm zu sein ein Unglück, einen Mann zu haben, ein zweites sei“.
Wenn sie aber überzeugt war, dass unter tausend Männern nicht zwei
seien, die was tauchten, so konnte sie sich mit den vielen trösten, die
mit ihr aus diesem Glückshafen, wie sie die Ehe genannt hat, gleiche
Loose gezogen hatten. Was ihr die Gesellschaft ihrer Zeit auch Bitteres
bereitet, sie hat verstanden, sich mit dem gut pfälzischen Grundsätze:
„Traurig sein macht krank, lustig sein gesund“ über alle Trübsal hin-
weg zu setzen, unverwüstlich blieb doch ihre fröhliche Lebenskraft, und
das Lachen, was sie verloren glaubte, ist ihr immer wieder gekommen.
Es ist doch merkwürdig, dass auch die Marquise de Maintenon und
Sophie von Hannover der Meinung waren, dass Liselotte hätte glücklich
sein können! Was sie erlebt, was sie bewegt, es spielt sich ganz für
sie selbst ab, der Gang der Geschichte ist selten davon berührt. Ihre
äussere Lebensgeschichte gehört nicht in den Rahmen welthistorischer
Darstellung, ihr Charakterbild ist ein echt historisches. Es ist das Bild
einer deutschen Frau, die über ein halbes Jahrhundert (f 1722) als
 
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