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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 7.1897

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Arnsperger, Walther: Lessings Beschäftigung mit der Leibnizischen Philosophie
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https://doi.org/10.11588/diglit.29033#0058
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Walther Arnsperger

Leibniz noch ein solcher heissen mag, und in dem Goethe ein Gelegen-
heitsdichter war, d. h. das gerade Gegenteil von dem, was man mit diesem
Ausdruck gewöhnlich meint, das Gegenteil eines Menschen, dessen Kopf
auf Bestellung und Anstellung fungiert.

Indessen hatten schon über ein Menschenalter vor Guhrauer Lessings
philosophische Anschauungen den Gegenstand eines litterarischen Streites
gebildet zwischen zwei Männern, von denen der eine dem Dichter lange
Zeit hindurch porsönlich sehr nahe stand, der andere sich wenigstens
auf mündliche Auseinandersetzungen mit ihm in den letzten Jahren seines
Lebens berufen konnte. Ich meine den Streit über Lessings Spinozismus
zwischen Jacobi und Mendelssohn, der von dem Ersteren angeregt, für
den Letzteren wenigstens mittelbar zur Todesursache geworden ist. An
der Aufregung und Anstrengung, die ihm die Rettung des toten Freundes
gegen die Beschuldigungen Jacobi’s verursacht hatte, ist Moses Mendels-
sohn gestorben. Derselbe Kampf ist dann von den Biographen Lessings
und den meisten Auslegern seiner Philosophie wieder aufgenommen und
fortgeführt worden, und die beiden Forscher, deren gemeinsames Werk
die erste Darstellung seines Lebens und Wirkens gewesen ist, repräsen-
tieren noch einmal den alten Gegensatz, indem Danzel Spinozismus, wenn
auch in geklärterer Form für Lessing in Anspruch nimmt, während
Guhrauer in ihm völlig den Fortbildner Leibnizischer Gedanken sehen
will. Es ist wirklich recht verwunderlich, dass eine so unrichtige und
ungeschickte Fragestellung, wie sie diesem Streite zu Grunde liegt und
wie sie bei den etwas verworrenen Vorstellungen eines Mendelssohn oder
Jacobi von den Anschauungen der beiden Denker ja noch erklärlich er-
scheint, so lange überhaupt beibehalten und ernsthaft diskutiert werden
konnte, bis man schliesslich zu dem Resultat kam, dass Lessing nur in
dem Sinne Spinozist genannt werden kann, in dem auch Leibniz einer
war — eine Behauptung, die er übrigens selbst im Gespräch mit Jacobi
angedeutet hatte.

Der tiefere Grund aller jener unfruchtbaren Streitigkeiten und über-
haupt der aussichtslosen Versuche, ontologische Spekulationen in der
einen oder andern Richtung bei Lessing nachzuweisen, oder gar ein
metaphysisches System, sauber abgegrenzt nach dem Schema der Schule,
für ihn aufzustellen, liegt in einer zu wenig kritischen Betrachtung und
darum meist in einer Überschätzung jener zerstreuten Bruchstücke, die
der Bruder ganz kritiklos und meist ohne eine Andeutung über ihre Ent-
stehung und Bestimmung im theologischen und litterarischen Nachlass
veröffentlicht hat. Für einzelne derselben sind inzwischen solche kritische
 
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