DOI Artikel:
Schneegans, Friedrich Eduard: Die Volkssage und das altfranzösische Heldengedicht
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.29033#0072
Die Volkssage und das altfranzösisclie Helden-
gedicht. ’)
Von
Fr. Ed. Schneegans.
Die altfranzösische Epenlitteratur erscheint uns in den Handschriften
des Mittelalters als ein gewaltiger, ungefüger Bau, an dem Generationen
gearbeitet haben, der zusammengesetzt ist aus Teilen aus verschiedenen
Epochen und Gegenden, altem, gutem Material neben wertlosem Machwerk
aus jüngerer Zeit: ein Produkt jener kompilierenden und kombinierenden
Thätigkeit des Mittelalters, der wir die gewaltigen historischen und
moralischen Specula verdanken so gut wie die liebenswürdigen lais von
Marie de France. Der leitende Gedanke der Ependichter der späteren
Zeit war in die Überlieferung der alten chansons de geste dadurch Ord-
nung zu bringen, dass sie die epischen Figuren in Gruppen, Familien,
„Gestes“ zusammenstellten. Neue Epen wurden nach dem Vorbild der
alten unter dem Einfluss der zeitgenössischen Litteratur gedichtet, um
die Übergänge von einer Figur, einer Familie zur anderen zu schaffen,
populäre Helden erhielten Verwandte, Ahnen und Nachkommen: die
epische Litteratur ist uns in einem Zustande völligen Niedergangs er-
halten, wo die einzelnen Werke der Willkür der Schreiber und Kompi-
latoren preisgegeben waren.
Eine der wichtigsten und zugleich anziehendsten Aufgaben der alt-
französischen Literaturgeschichte ist es, den künstlichen Bau der Spätzeit
in seine Bestandteile zu zerlegen, das alte wertvolle Gut von späteren
Zuthaten zu sondern, die ursprünglichen Epen in einer möglichst reinen
Form wiederherzustellen. Ein wichtiges Hilfsmittel, mit dem die mo-
derne Forschung glänzende Resultate erzielt hat, bieten die Anspielungen
1) Habilitations-Vorlesung, gehalten vor der philosophischen Fakultät der Uni-
versität Heidelberg am 19. Dezember 1896.
gedicht. ’)
Von
Fr. Ed. Schneegans.
Die altfranzösische Epenlitteratur erscheint uns in den Handschriften
des Mittelalters als ein gewaltiger, ungefüger Bau, an dem Generationen
gearbeitet haben, der zusammengesetzt ist aus Teilen aus verschiedenen
Epochen und Gegenden, altem, gutem Material neben wertlosem Machwerk
aus jüngerer Zeit: ein Produkt jener kompilierenden und kombinierenden
Thätigkeit des Mittelalters, der wir die gewaltigen historischen und
moralischen Specula verdanken so gut wie die liebenswürdigen lais von
Marie de France. Der leitende Gedanke der Ependichter der späteren
Zeit war in die Überlieferung der alten chansons de geste dadurch Ord-
nung zu bringen, dass sie die epischen Figuren in Gruppen, Familien,
„Gestes“ zusammenstellten. Neue Epen wurden nach dem Vorbild der
alten unter dem Einfluss der zeitgenössischen Litteratur gedichtet, um
die Übergänge von einer Figur, einer Familie zur anderen zu schaffen,
populäre Helden erhielten Verwandte, Ahnen und Nachkommen: die
epische Litteratur ist uns in einem Zustande völligen Niedergangs er-
halten, wo die einzelnen Werke der Willkür der Schreiber und Kompi-
latoren preisgegeben waren.
Eine der wichtigsten und zugleich anziehendsten Aufgaben der alt-
französischen Literaturgeschichte ist es, den künstlichen Bau der Spätzeit
in seine Bestandteile zu zerlegen, das alte wertvolle Gut von späteren
Zuthaten zu sondern, die ursprünglichen Epen in einer möglichst reinen
Form wiederherzustellen. Ein wichtiges Hilfsmittel, mit dem die mo-
derne Forschung glänzende Resultate erzielt hat, bieten die Anspielungen
1) Habilitations-Vorlesung, gehalten vor der philosophischen Fakultät der Uni-
versität Heidelberg am 19. Dezember 1896.