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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 7.1897

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Schneegans, Friedrich Eduard: Die Volkssage und das altfranzösische Heldengedicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.29033#0081
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Die Volkssage und das altfranzösische Heldengedicht 67

den Reihen der Sarrazenen treffen in den späteren Epen des Wilhelm-
cyklus sind volkstümlichen Ursprungs. Rainoart, der gute Riese, derb,
gefrässig, ungestüm, ist eine Gestalt der Volksphantasie. Volkstümlich
klingt die Erzählung von dem tapferen Guichardet (im Covenant Vivieu),
dem Guillaume verbietet, ihm in die Schlacht zu folgen, der sich heim-
lich eine Keule zurechtschneidet, sie im Stall unter dem Misthaufen ver-
steckt und dann am nächsten Tage heimlich wegreitet. Während sich
in den ursprünglichen Gestalten der sarrazenischen Könige oft historische
Figuren erkennen lassen, haben andere jüngere Kamen einen durchaus
populären Charakter: es ist kaum ein Zufall, dass ein Karne wie Gasteble',
der in den Epen des Guillaumecyklus auftritt, als bürgerlicher Familien-
name bezeugt ist1). Ein den Reim suchender Dichter führte den wegen
seines kriegerischen Klanges ihm auffallenden Kamen ein.

So scheint mir die Volksphantasie wenn nicht zusammenhängende
epische Erzählungen, Heldensagen, geschaffen zu haben, so doch zahl-
reiche episodische, anekdotenhafte Erzählungen mit historischen Figuren
und Gestalten des Epos in Verbindung gebracht zu haben, die das Epos
besonders der Spätzeit bedeutend beeinflusst, ganze Epen ins Dasein ge-
rufen haben. Diese Elemente zu sondern, mit ähnlichen Zügen womög-
lich zu vergleichen, in den märchenhaften, phantastischen oder komischen
Schilderungen des Epos das Volkstümliche auszuscheiden, scheint mir eine
wichtige Aufgabe der Forschung zu sein. Man hat bis jetzt besonders
solche Episoden im Epos berücksichtigt, in denen Erinnerungen an histo-
rische Ereignisse fortleben, aber in manchen Epen und Epenmotiven ist
bereits der volkstümliche Ursprung nachgewiesen worden. In der chanson
de geste: „Charroi de Kimes“, in der erzählt wird, wie Graf Wilhelm
und die Seinen in Fässern verborgen in die Stadt Kimes eindringen, hat
man eine Version der Sage erkannt, deren berühmteste Bearbeitung uns
in der trojanischen Sage erhalten ist. Die Reise Karls nach Konstanti-
nopel, die durch ihren burlesken Ton eine eigentümliche Stellung unter
den uns erhaltenen chansons de geste einnimmt, scheint aus einer Volks-
erzählung entstanden zu sein. Weitere Untersuchungen würden nicht
allein manche Spuren der Volkspoesie aufdecken, sondern für das Studium
der Epen wertvolle Resultate geben und wesentlich dazu beitragen, die
notwendige Scheidung zu erleichtern zwischen den eigentlichen chansons
de geste und den Werken der späteren Zeit, die auf rein litterarischem
Wege durch Kachahmung nach dem Vorbilde der alten Gedichte ge-
schaffen worden sind.

1) s. Richard Gasteble in Darmesteter: Noms composes. 2. edition p. 211.
 
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