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146

J. Wille

Aber alle diese Studien, sie bewegen sieb in stetem Kontakte mit
dem frisch pulsierenden Leben. Wie jene Gelehrten der Renaissance
Italiens, wo die Epigraphik ihre erste Heimat bat, ist auch Zangemeister
nicht von den Büchern zu den Denkmalen, sondern zuerst in die Welt
und dann in die Studierstube gegangen. Wie jener Ciriaco von Ancona,
der weit über Länder und Meere gezogen kam, um in froher Begeiste-
rung für das neuerwachte Altertum, seine inschriftlichen Denkmale zu
sammeln, so war auch Karl Zangemeister von einem fröhlichen Wander-
triebe im Dienste seiner Wissenschaft beseelt. Nicht allein in den
Museen der Städte, sondern in Feld und Wald, wo oft verborgen und
vergraben die Denkmale der Vorzeit ruhen und draussen am römischen
Grenzwall sah man seine kraftvolle Gestalt. So kam er von den
Büchern auch zu den Menschen. Sein liebenswürdiges Wesen verschaffte
ihm zahlreiche Freunde, in diesen Kreisen wirkte er weit über die Zunft
der Gelehrten hinaus anregend und fruchtbringend, weckte er Verständ-
nis für die Erhaltung unserer Denkmale. Als der gefällige, in seinem
Wissen nie versagende Gelehrte, ward er der vielgesuchte Berater für
Alle, die Freude an den Zeugnissen uralter Kultur ihres heimatlichen
Bodens hatten. Seine Arbeitsstube konnte zeitweise einem kleinen Mu-
seum gleichen, wo neben Büchern und Papieren zahlreiche Fragmente
von Gefässen, zerbrochene Inschriftensteine, verwitterte Münzen und
viel Anderes aus dem Hausrath der Vorzeit, durcheinander lagen. Da-
rum war er die Seele jenes Unternehmens, das von einer Reichskom-
mission geleitet, den Grenzlinien römischer Kultur in deutschen Landen
folgte. Denn nur im Verkehr mit Natur und Leben konnte auch diese
Arbeit gedeihen.

Akademieen und gelehrte Gesellschaften, Museen und wissenschaft-
liche Kommissionen wählten Zangemeister zum Mitglied und Berater.
Auch unsere Universität hat ihn als ordentlichen Honorarprofessor in
ihre Mitte aufgenommen, damit er sein reiches Wissen auch im Lehren
verwerten sollte.

Doch nicht dem Lehrer gilt heute in dieser Form unsere akade-
mische Feier. Sie gilt dem Manne, der dreissig Jahre lang das wich-
tigste Institut der hohen Schule, ihre Bibliothek, geleitet hat.

Karl Zangemeister war ein achter Gelehrter, voll Liebe und Leiden-
schaft zu den Büchern. Und weil er dies war, erfüllte er die eine wich-
tige Seite seines eigentlichen Berufes, eines Bibliothekars. Aber nicht
ein jeder, der gelehrt ist, besitzt auch die Anlage bibliothekarisch zu
 
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