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Das Atmen des Gebirges
Von Adolf Mayer

Wir stoßen in Göthes italienischer Reise gleich in einem der
ersten Briefe vom Brenner aus, vom 8. September datiert, auf
die folgende merkwürdige Stelle:
„Betrachten wir die Gebirge näher oder ferner, und sehen ihre
Gipfel bald im Sonnenscheine glänzen, bald vom Nebel umzogen,
von stürmenden Wolken umsaust, von Regenstrichen gepeischt,
mit Schnee bedeckt, so schreiben wir das alles der Atmosphäre zu,
da wir mit Augen ihre Bewegungen und Veränderungen gar wohl
sehen und fassen. Die Gebirge hingegen liegen vor unserem
äußeren Sinn in ihrer herkömmlichen Gestalt unbeweglich da.
Wir halfen sie für tot, weil sie erstarrt sind; wir glauben sie un-
tätig, weil sie ruhen. Ich aber kann mich schon seit längerer .Zeit
nicht entbrechen, einer inneren, stillen, geheimen Wirkung der-
selben die Veränderungen, die sich in der Atmosphäre zeigen,
zum großen Teile zuzuschreiben. Ich glaube nämlich, daß die
Masse der Erde überhaupt und folglich auch besonders ihre her-
vorragenden Grundfesten nicht eine beständige, immer gleiche
Anziehungskraft ausüben, sondern daß diese Anziehungskraft
sich in einem gewissen Pulsieren äußert, so daß sie sich durch
innere notwendige, vielleicht auch äußere zufällige Ursachen bald
vermehrt, bald vermindert. Mögen alle anderen Versuche, diese
Oszillation darzustellen, zu beschränkt und roh sein; die Atmo-
sphäre ist zart und weich genug, um uns von jenen stillen Wir-
kungen zu unterrichten. Vermindert sich jene Anziehungskraft
im geringsten, alsobald deutet uns die verringerte Schwere, die
verminderte Elastizität der Luft diese Wirkung an. Die Atmo-
sphäre kann die Feuchtigkeit, die in ihr chemisch und mechanisch
verteilt war, nicht mehr fragen, Wolken senken sich, Regen
stürzen nieder, und Ströme ziehen nach dem Lande zu. Vermehrt
aber das Gebirge seine Schwerkraft, so wird alsbald die Elasti-
zität der Luft wieder hergestellf, und es entspringen zwei wichtige
 
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