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Brodersen, Kai; Wink, Michael [Hrsg.]; Bartram, Claus R. [Hrsg.]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Hrsg.]
Heidelberger Jahrbücher: Vererbung und Milieu — Berlin [u.a.], 45.2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.4063#0108

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96 Franz Resch und Eva Möhler

sammenhang mit gesellschaftlichen Veränderungen bringt (siehe Übersicht
bei Resch 1999).

Der Wettstreit zwischen Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften
ist nicht nur ein akademischer, es geht in einer Epoche verknappender Res-
sourcen auch um F:orschungsförderung, Forschungsflächen, Personal und
universitäres Ansehen. Die Gentechnik hat einen Zenit an Machbarkeit er-
reicht, ethische Diskussionen stehen nicht selten unter Zeitdruck und dem
Sachzwang bereits gesetzter Fakten. Wir Kinderpsychiater und Psychothe-
rapeuten sind Grenzgänger zwischen den Wissenschaften von Natur und
Kultur, unser Untersuchungsgegenstand ist die Seele des Kindes und gerade
bei der Frage, welche Determinanten die psychische Entwicklung des Kindes
beeinflussen, werden kontroverse Sichtweisen unterschiedlicher Wissen-
schaftsbereiche auf den Punkt gebracht.

Eine evolutionsbiologische Perspektive der normalen und pathologischen
Entwicklung der Seele kann von der These ausgehen, dass bestimmte neuro-
behaviorale Systeme des Menschen im Laufe der Phylogenese entsprechende
Überlebensvorteile boten, aber damit auch gleichzeitig verbundene Vulne-
rabilitäten tradiert haben könnten. Auf diese Weise wird ganz entschieden
einem eugenischen Konzept entgegen getreten, das davon ausgeht, psychi-
sche Vulnerabilitäten durch Genmanipulation vielleicht einmal therapeu-
tisch günstig beeinflussen zu können, bzw. vulnerabilitätstragende Gene
durch Eingriffe in die Keimbahn des Menschen nachhaltig zu verändern. Die
Menschheit könnte Gefahr laufen, dass eine Eliminierung von Vulnerabilitä-
ten für bestimmte psychopathologische Zustände ganz massiv mit spezispe-
zifischen Kenntnis- und Verhaltensweisen interferiert und auf diese Weise
gerade jene neurobiologischen Funktionskreise verändert, die sich als evolu-
tionär überlebenswichtig herauskristallisiert haben (Leckmann und Maies
1998).

Ein breit in der Öffentlichkeit verankertes zivilisatorisches Unbehagen
durchsetzt außerdem die Debatte um kindliche Entwicklungsdeterminanten.
Soziologische Analysen der Rolle des „Individuums in der Gesellschaft"
(Schroer, 2000) legen nahe, dass wesentliche Entwicklungsaufgaben unserer
Kinder durch sozialethische Forderungen zivilisatorischer Rahmenbedin-
gungen definiert werden. Schon mit dem Aufsatz „Das Unbehagen in der
Kultur" hat Freud eine kritische Schrift vorgelegt, die auf die sozialen Set-
zungen der Lebensanforderungen abhebt: Nicht die Natur des Menschen al-
lein macht sein Schicksal aus, sondern die Auseinandersetzung seiner Natur
mit den Lebenskontexten, die eine zivilisierte Welt anbietet.

Wenn diese Formulierung auch trivial erscheint, so kennzeichnet sie doch
ein Grundproblem der Humanwissenschaften, die sich zum gegenwärtigen
Zeitpunkt im Spannungsfeld eines nunmehr modernistisch ausgedrückten
„nature-nurture" Problems bewegen. Auch im Bereich der Psychiatrie ist
 
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