Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (18) — 1885

DOI Kapitel:
Nr. 75 - Nr. 88 (1. Juli - 31. Juli)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44621#0349

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
deberger

Monag, den 27. Juli 1885.

18. Jahrh.

erſchint kden Montag, Mittwoch und Freitag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer a 6 Pf. Man abonnirt beim

Berleger, Schiffaaſſe 4 und bei den Trägern. Augwärts bei den Laudboten und Poſtanſtalten.


2 —


Ohne Fehl.
Roman von Ernſt von Waldow.

Cortſetzung))
Tödtlich erſchöpft, ein Raub der quälendſten Empfin-

dungen, ſaß Sidonie nach beendeter Vorſtellung einſam in

dem kalten, ungemüthlichen Zimmer des Gaſthauſes, wo ſie
Wohnung genommen.
und ſie zu ungeſchickt, um es auf's Neue zu entzünden,
Mitternacht war nahe, ſie wollte nicht erſt Jemand vom
Hotel⸗Perſonal herbeirufen und hüllte ſich deshalb fröſtelnd
in einen Shaal. Unberührt ſtand das Nachtmahl vor ihr
auf dem Tiſche, den eine Menge Toilettengegenſtände, über-
einander gehäuft, bedeckten.
Wo waren die Blumen, die Lorbeerkränze, die Schaar
der heiteren Gäſte, die bewundernd den neuen Stern am
Kunſthimmel prieſen? Wo der erleuchtete Saal, die feſtlich
geſchmückte Tafel, die kreiſenden Becher mit perlendem Schaum-
wein, aus denen man die Geſundheit der Königin des Feſtes
trank?“ ö
Ein tiefer Seufzer entfloh den Lippen der einſamen
Frau. War es ein Trugbild geweſen, dem ſie nachgejagt,
hatte ſie wirklich kein Talent, war ihr die Gabe nicht zu
Theil geworden, die Herzen der Menſchen zu rühren durch

ihr Spiel? Sie hatte ja ernſtliche Studien gemacht daheim,

ihre Lehrer waren des Lobes voll geweſen, man hatte ihr
eine glänzende Zukunft prophezeit und ſie ſelbſt fühlte den
Trieb in ſich, als Schauſpielerin künſtleriſch zu wirken —
ſollte das alles Täuſchung geweſen ſein, eine lockende Fata
Morgana, der ſie alles geopfert — Heimath, Familie ?!
Bid da ſtand mit peinigender Deutlichkeit das liebliche
Geiſtes. Sidonie ſah das matt erleuchtete Gemach, ſah die

kleinen Schläfer in den Bettchen liegen, ſanft athmend,

lächelnd, und ein brennender Schmerz, eine unendliche Sehn-
ſucht machten ihr Herz erbeben. Thränen traten in die

beißen Augen und ſchluchzend verbarg ſie ihr Antlitz in den
3 Händen. ö
. Am nächſten Morgen, als Sidonie ſich eben in das
Theater zur Probe begeben wollte, erhielt ſie einen Brief ö

von Direktor Lorenzen; derſelbe kautete:

Sehr geehrte Frau!
Da Sie mir ſo warm von einer Dame empfohle waren,

deren Kunftderſtändniß ich ſchätze, wagte ich eine Probe,

Das Feuer im Ofen war erloſchen,

ihrer ſchlummernden Kinder vor dem Auge ihres

obwohl ich ſelbſt wenig Hoffnung auf Ihr Debüt ſetzte.
Der Erfolg — oder beſſer geſagt, der Mißerfolg des geſtrigen
Abends hat mir Recht gegeben.
Ihr Talent, bei richtiger, praktiſcher Ausbildung, würde
Sie vielleicht für das Fach der Salondamen befähigen —
dies iſt jedoch an meiner Bühne vor der Hand beſetzt.
Ich glaube in Ihrem Intereſſe zu handeln, wenn ich
Ihnen den Rath gebe, es mit der einen Gaſtrolle an meiner
Bühne bewenden zu laſſen. Sollten Sie jedoch anderer
Anſicht ſein und den Verſuch nochmals wagen wollen, dann

bin ich ſelbſtverſtändlich bereit, mein Ihnen gegebenes Wort.
zu halten, und Sie noch zwei Mal auſtreten zu laſſen.

Hochachtend
Lorenzen.“

Sidonie ſtarrte auf den Brief, als enthielte derſelbe ihr
Todesurtheil. Da ſtand es ja ſchwarz auf weiß, daß ſie
eine Stümperin ſei, der man von Anfang nichts zugetraut
und die durch ihren Mißerfolg das ungünſtige Vorurtheil
gerechtfertigt hatte.
So rückſichtslos, ſo verletzend wagte man ihr zu be-

gegnen, die vordem durch ſorgende Liebe verhätſchelt und

verwöhnt worden war! Das war wohl ſchlimmer noch, als
die Ermahnungen, die Vorſchriften des geſtrengen Gatten,
den ſie ſo oft einen Tyrannen geſcholten. O, wenn es jetzt
noch einen Weg gegeben hätte, der zurückführte zu dem
häuslichen Herde, deſſen heilige Flamme ſie ſo ſchlecht zu
hüten verſtanden!
Aber nein — Wilibalds Härte und Liebloſigkeit hatte
die Bereuende, die Bittende von ſich geſcheucht, und wenn.
ſie jetzt vor ihm erſchiene, gedemüthigt, herabgeſtürzt von

der ſtolzen Höhe einer geträumten Künſtlergröße — dann

würde er zur Grauſamkeit noch den bitteren Hohn fügen
— der durchgefallenen Schauſpielerin würde er noch weni-
ger die Erziehung ſeiner Kinder anvertrauen — nein, es
war zu ſpät, für ſie gab es kein Zurück mehr.
In der erſten Erregung ſchrieb Sidonie dem Theater-
direktor einen kurzen Brief, in welchem ſie ihn ſeines Ver-
ſprechens entband und auf die ferneren Gaſtrollen an ſeiner
Bühne verzichtete, dann überlegte fie, wohin ſie ſich wenden
ſolle, denn daß ihres Bleibens hier nicht mehr war, ſah
Einen Moment dachte ſie daran, ſich dem Freunde
ihres Gatten, der auch ihr ſtets freundlich begegnet war,
Ernſt Rettenbach, anzuvertrauen. Doch falſche Scham hielt

ſie wohl ein. ö

ſie davon zurück. Vielleicht hatte er ſchon davon gehört,
 
Annotationen