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Heidelberger Volksblatt (18) — 1885

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Nr. 102 - Nr. 114 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44621#0445

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latt.

2 — — *

züt — Moniag, den 2. Septenber 1885.

ö 18. Jahrg.

Erſcheint jeden Montas, Mittwoch und Freitag. Prels monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer 4 6 Pf.
— Berleger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt beim



Verkaufte Seelen.
Aus dem Tagebuche eines Soldaten vom „Oſtindiſchen Lager.“
Schluß.) ö ö
Der Tranusport beſtand aus einem Hauptmann (einem
indiſchen Kapitän, der Frau und drei Kinder, ſowie ſeine
japanefiſche Dienerſchaft an Bord hatte,) einem Lieutenant,
einem Unteroffizier⸗Adjutanten, 3 Sergeant⸗Major, 6 Ser-
geanten, 2 Korporalen und 98 Gemeinen. Hievon waren
auf dieſem kleinen Schiff nicht weniger als 43 (ſchreibe
dreiundvierzig) Gemeine und 2 Serganten Deutſche. Von
den Soldaten durfte während der ganzen Reiſe kein Mann
an Land. Warum? weil die Liebe zur Freiheit zu ſtark
erwachen und er deſertiren könnte! Und wie lockte nicht
Neapel, Meſſina, Port⸗Said, Suez? In Neapel fällt es
dem Deutſchen beſonders ſchwer, er weiß ſich kaum zu faſſen.

Er jammert nach Brod: ich wollte, ich hätte nur das, was

täglich daheim vom Tiſche fällt. Immerwährend dieſe gleich-

mäßige, einförmige Koſt und dabei nicht einmal ſatt zu eſſen,

dazu die Langeweile, die Hitze und das enge Beiſammen-
leben — es iſt entſetzlich! Wie leicht ſteigt die Verzweiflung
herauf, wie ſchnell wäre ein Sprung hinuntergethan in die
ſalzige Fluth. Iſt nicht beſſer ein ſchneller Tod als dieſes
langſame Abſterben ?ꝰ ö
„Und dann die traurigen Mahnungen an das drohende
Geſchick! Vor Meſſina war es angefichts dieſer herrlichen
Stadt und Nachmittags 4 Uhr. Langſam und faſt feierlich
fährt die „Königin Emma“ auf Büchſenſchußweite vorüber,
ſie hat — Invaliden an Bord. Das Hurrahrufen und
Tücherſchwenken war ergreifend. Vielen ſtanden die Thränen
in den Augen und ein deutſcher Artilleriſt, der am Tage
vorher (in Neapel) die Nachricht vom Tode ſeines Vaters
erhielt, weinte bitterlich. *

In Port⸗Said, dem früheren Fiſcherdorf, aus dem jetzt

eine blühende Hafenſtadt geworden iſt, vertheilte ein deutſcher
Miſſionär Bibeln an die Soldaten. Es wurden abermals
(Zum letzten Male dann in Aden) Kohlen eingenommen,

über deren Anbordſchaffung durch flinke, abenteuerliche Araber
ſorgliche, wie Holland ſich überhaupt hier eine gute Ver-
pflegung ſeines koſtſpieligen Truppenmaterials angelegen ſein
läßt. Die Koſt iſt reichlich und ſchmackhaft, die Kantonne-
ments find luftig und mit Bade⸗ und Waſchgelegenheit aus-

das Büchlein eine anſchauliche Schilderung enthält. „Es
war eine Bande, der der ſtärkſte Mann bei der Nacht nicht
begegnen möchte. Das Tauſchgeſchäft ging auch hier, rrotz
des ſtrengen Verbotes, ſehr lebhaft — natürlich zu Gunſten
der Verkäufer. So erhielten die unbeholfenen Holländer für

ein neues Hemd 20 Apfelfinen im Werthe von vielleicht

40 Pfg. Auch Karten und Bilder verſuchten die ſpitzbübiſchen
Händler an Bord zu ſchmuggeln. Fielen ſie aber damit der-
den Dampfer umkreiſenden Hafenpolizei in die Hände, ſo
machte dieſe ohne Land⸗ und Seegericht kurzen Prozeß; die
Verkäufer wurden ganz erbärmlich durchgepeitſcht, was fie
ſich auch willig gefallen ließen, nur bemüht, auf kürzeſtem
ege zu enteilen.
Immer weiter ging die Fahrt, immer drückender wurde
die Langeweile. Und doch will es den Leuten immer noch-
nicht begreiflich werden, daß ſie der Heimath den Rücken
gekehrt haben! Vor Aden frug ich viele Landsleute, ob es
ihnen wohl ſo zu Muthe ſei, als befänden ſie ſich in Afrika.
Sie antworteten erſtaunt: „Nein!“ Und ſo iſt es auch.
Wir ſehen die Schwarzen dutzendweiſe um uns herumtanzen,

wir ſehen Palmen und Kameele; wir wiſſen, es iſt Januar

und gehen in Hemdärmeln und Unterhoſen. Aber dennoch
es fühlt Jeder noch Heimathodem ſich umwehen, wozu die
deutſche Geſellſchaft wohl das Meiſte beiträgt.
Zur Vertreibung der Langeweile ſpielte man Theater;
„Nachtigall und Nichte,“ ſtellte den „Gang zum Eiſen-
hammer“ in Nebelbildern, ſang komiſche Quartette u. ſ. w.
In der Sonnengluth verlor das Trinkwaſſer alle Erfriſch-
ungskraft und wurde zudem knapp bemeſſen. „Die Leute
können ſich nicht mehr reinigen, weil das Salzwaſſer keine
Seife annimmt und ohne dieſe Ruß und Schiffsſchmutz
nicht ſchwindet. Auch die Wäſche will nicht mehr ſauber
werden nud was einſt blau war, das färbte das Salz weiß.“
Da war denn der Ruf „Land“ am 48. Tage der Reiſe
eine Jubelbotſchaft, die vielleicht nicht weniger freudig in
die Herzen einſchlug, als der Ruf vor nahezu vier Jahr-
hunderten bei Columbus verzweifelter Schaar. Die „Madura“
ankerte am 3. Februar vor Batavia, todte und lebende
Fracht wurde ausgeſchifft. Letztere erhielt gleich am Hafen-

platz einige Erfriſchungen und dann ging es zu dem 10

Minuten entfernten Bahnhof, dort wurde in die kleinen,
ſchmutzigeu, heißen und ſtaubiggrauen Coupees der japani-
ſchen Eiſenbahn eingeſtiegen. Die Fahrt ging nach dem ca.
eine Bahnſtunde entfernten Depot, Meeſter Kornelius, wo
vorläufig Halt gemacht wurde.
Die Aufnahme daſelbſt war eine freundliche und für-

geſtattet, der Sold genügt meiſtens, der Sonntag iſt ganz
frei und für Kleidung wird beſtens geſorgt, aber! — Eͤs
 
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