Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (18) — 1885

DOI Kapitel:
Nr. 102 - Nr. 114 (2. September - 30. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44621#0446

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
giebt Etwas, gegen das Holland nicht ankämpfen kann,
gegen das keine Macht, keine Sorgfalt und keine Pflege
hilft ... Das iſt der kalte, ſtarre Tod, der gar bald den
größeren Theil der Soldaten in ſeine mitleidige Arme nimmt
und ſie hinwegträgt aus dem Elend und dem Trübſal des
Lebens, aus den Sklavenketten der verkauften Seelen!
Er hält eine reiche Ernte unter den achtzehn Bataillonen
des oſtindiſchen Lagers. Vom Transporte der „Matura“
ruhten in den erſten vierzehn Tagen ſchon zwei in ſtiller
Erde. Der achte Theil mußte wegen Krankheit in Meeſter
Kornelius zurückbleiben und wer gegen den Feind mar-
ſchiren muß, der mache ſein Teſtament; er erliegt entweder
dem Klima, den Strapatzen des ewig ruheloſen Guerilla-
krieges oder dem Feinde. Das ſind drei grimme Mörder,

die fürchterlich aufarbeiten uuter dem jungen Blut, das voll

Leichtfinn und Hoffnung hinauszog in die weite Welt.
Manch unruhiger Geiſt fand da die erſte und letzte Ruhe,
manch' beſchwertes Gewiſſen ſchlief ein, aber auch viel
Heldenmuth viel Thatkraft und heißes Streben nach Glanz
und Ehre ging zu Grunde, kaum gekannt — kaum beweint!
Das Klima ſetzt den europäiſchen Truppen ſchon in der
Kaſerne arg zu. Sie kommen aus dem Transpiriren nicht
heraus und müſſen täglich drei bis vier Mal Wäſche und
Unterkleider wechſeln, deshalb bekommen ſie auch geliefert:
6 Hemden, 6 Unterhoſen, 6 Paar Strümpfe, 2 Handtücher,
4 Paar Schuhe, 2 Mützen, 3 Halsbinden, 3 blaue Leinen-
röcke, 5 blaue Hoſen, 1 Tuchhoſe, 1 weiße Hoſe, 1 Mantel,
2 weiße Shirtings (leichte Schlafröcke), 2 weiße Schlaf-
hoſen, 1 Halstuch, Bettdecken u. ſ. w. Gewaſchen iſt leicht
und die Sonne trocknet in einer halben Stunde. Reis giebt
es täglich zwei Mal, des Morgens mit Zamba (rother
Pfeffer) und des Abends mit Seyers (grünen indiſchen
Pfeffer.) Fleiſch giebt es zum zweiten Frühſtück (gekocht)
und Mittags (gebraten, auch abwechſelnd mit Fiſch). Ein
ganzes oder halbes Ei fehlt bei dem um 4 Uhr eingenom-
menen Mittageſſen nie. Die Strafen ſind, namentlich gegen
Trunkſucht, ſtreng; ſchon beim dritten Räuſchchen wandert
der Malefikant auf drei Monate in die zweite Klaſſe des
Soldatenſtandes.
Aber in einer Beziehung gewährt Holland ſeiner Kolo-
nial⸗Armee vollſtändige Freiheit: die Freiheit der Ehe. Wer
heirathen will, macht einfach dem Sergeant⸗Major (Feld-
webel) Mittheilung und verſtändigt ſich mit ſeinem holden

Weſen, das ihm als Lebensgefährtin auf „Zeit oder Dauer“

acceptabel erſcheint.
„Ländlich — fittlich!“ Nicht nur
Offiziere und höhere Beamte „heirathen“ in dieſer Weiſe
eine „Maid“ — ſo nennt man holländiſch die eingeborenen
Frauen — ohne einen Standesbeamten oder gar Prieſter.
Dieſe Zuſtände ſind für den Neuling frappant, aber — er
gewöhnt ſich bald daran. An Kindern iſt dabei kein Mangel;
die Sorge für dieſe übernimmt vom zweiten Lebensjahre an

der Staat. Er läßt ſie im Landeswaiſenhauſe erziehen und

ſie, wenn es Knaben ſind, ſ. Z. Soldat werden. Die
„Maid“ betrachtet dieſes Verhältniß, das ja vom Staate

die Soldaten, auch

(legalifirt iſt, als ganz korrekt, zudem ſie auch Anſpruch au
das halbe Traktement ihres Cheſpons hat. 0 dnipeug auf
„Aber leider! Nicht immer iſt die männliche Welt der
weiblichen Hingabe würdig und die ſogenannten „Herren
der Schöpfung“ fühlen ſich nur zu gerne als „Herren.“
Es iſt erklärlich, wenn unter dieſen Umſtänden die zarten
Bande immer locker geknüpft ſind. Die Art der Trennung
iſt nach unſerem Gewährsmann zum Mindeſten originell.
Tritt auf Seiten des Mannes unüberwindliche Abneigung
ein und beſchließt er, ſich von der Gefährtin zu trennen,
ſo gießt er ihr des Morgens den Kaffee wie aus Verſehen
auf die zarten Füßchen. Das genügt. Die „Maid“ iſt tödt-

lich beleidigt, läßt ſich vom Sergeant⸗Major ein Zeugniß

über ihr Verhalten ausſtellen und zieht davon.
* 4

Damit bricht mein Tagebuch kurz ab und wohl oder
übel muß ich es an dieſem Torſo genügen laſſen. Der
Schreiber des Buches kam nicht vor den Feind; er blieb
im Depot Meeſter Kornelius und iſt dort, wie vor und nach
ihm ſchon ſo mancher Sohn einer deutſchen Mutter — ver-
ſchollen! Was aus ihm ward, wiſſen weder ſeine Eltern
noch ſeine Freunde. Niemand giebt Auskunft, ob er noch
lebt oder ob er ſchon längſt ruht bei den ſtillen Gefährten
im javaniſchen Boden. Denn die Erde Javas iſt reich an
Gräbern: wenn jedes derſelben eine Grabſchrift trüge, wie
viele deutſche Namen müßten da in der Sonne Oſtindiens
verblaſſen? ö
Ich befolge einen Zweck mit der Veröffentlichung dieſer
Zeilen, denn ich wollte zeigen, wie trotz manches Verlocken-
des — verlockend für unerfahrene Gemüther — das Loos
der deutſchen Soldaten in fremden Dienſten ein trauriges
iſt, ſelten zu einem rüſtigen Alter, ſeltener zu Vermögen
und Ehren führt. Und noch mehr: dieſe Soldaten find keine
Pioniere der Kultur, ſie ſtehen nicht im Dienſte der Huma-
nität und Geſittung, die der rauhe Hinterwälder Amerikas
mit der Axt einführte in ſeinen Urwald, denen der Forſcher
im ſchwarzen Erdtheil, der Kaufmann in fernen Ländern
Wege ſucht und Bahnen ebnet. Die „verkauften Seelen“
ſind verlorene Söhne, verloren dem Vaterland, dem Dienſte
der Menſchheit, denn ihre Hände ſind nicht frei und ihre
Marſchroute iſt gebunden. Die Weltentwickelung ſchreitet
ohne ſie vorwärts über ihre Leichen hinweg. ö
Darum, wenn junge Kraft überſchäumend hinausſucht
in die Weite, ſei eindringlich die Mahnung an ſie, frei die
Hände zu behalten und den Fuß nicht in Sklavenketten zu
ſtecken. Nicht Knechte fremder Macht, nein! Träger und
Mehrer der Kultur laßt unſere Söhne ſein! ö
 
Annotationen