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Heidelberger Volksblatt (18) — 1885

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Nr. 102 - Nr. 114 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44621#0413

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M. 1b—.

18. Jchrh.

Erſcheint jeden Montag, Mittwoch und Freitag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne Nummer 4 6 Pf.
· Berleger, Schiffgaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt beim

2
——

Ohne Fehl.
Roman von Ernſt von Waldow.
Schluß.) 2*
„Wilhelmine Alberti lächelt, und das kleidet ſie vortreff-
lich, es verſchönt förmlich die ſonſt ſo ſtrengen, kalten Züge;
auch das leichte, luftige graue Gazekleid, welches ihre voller

gewordene Geſtalt in reichen Falten umwallt, ſteht ihr gut

und nur der ſteife, weiße Kragen und die ebenſo untadel-
haft weißen Manſchetten erinnern an die frühere Penſions-

Vorſteherin. Selbſt der Ton der vollen Altſtimme iſt weicher,‚

einſchmeichelnder geworden, als ſie jetzt erwidert:
»„Wohl gebühren der Jugend die Roſen, doch kränzten
früher auch Greiſe ihre weißen Locken damit.“
— „Soll das vielleicht eine Anſpielung ſein auf die vielen
Silberfäden, die Haar und Bart mir durchziehen — ſpottet
die Freundin meiner, den die ſchlimme Krankheit vor der
Zeit zum Greiſe gemacht?“ ö ö
ö +O nein, das glauben Sie nicht!“ rief ſie eifrig, und
ein Blick aus ihren immer noch ſchönen Augen ſagte noch
mehr. ö
Ob er verſtanden, was dort geſchrieben ſtand? Lang-
ſam brach er eine der ſchönſten Roſen vom Stock und
ſchweigend ſchritt das Paar weiter, der Geisblattlaube zu,
wo ſchon ein bequemer Lehnſtuhl und ein mit allerlei Er-
friſchungen beſetztes Tiſchchen des leidenden Mannes harrte.
„Wie gut Sie ſind, Wilhelmine!“ ſagte Wilibald innig,
als er Platz genommen und ſie die Polſter ſo gelegt, daß
ſie ihm zur Stütze dienten und doch die Freiheit ſeiner
Bewegungen nicht demmten.
„Soll ich Ihnen vorleſen?“ fragte ſie leiſe.

„Nein, meine Gedanken find heut nicht geſammelt ge-

nug, um ruhig zuhören zu können — der Anblick der Roſen
vorhin hat mich trübe geſtimmt “. ö
„Trübe? Ei, ö
Gemüth erheitern, die Seele froh und nicht traurig machen!“
„Wollen Sie wiſſen, was mir die Roſen geſagt haben?“
„Sprechen Sie“, ne, und i
Stimme bebte. — —
„Nun wohl. Ich meinte vor Monaten noch, als die
Aerzte mir die täuſchende Verſicherung gegeben, daß ich meine
Oeſundheit völlig wieder erhalten werde, daß es mir ver-
gönnt ſein würde, altes Unrecht zu ſühnen, indem ich einer
mir theuren Perſon mit Herz und Hand, die ich ihr bieten

mein Freund, das Schöne ſoll unſer

— erwiderte Wilhelmine, und ihre

wollte, mindeſtens einigen Erſatz für ein verfehltes Leben
geben könne. Jetzt aber haben die Roſen mir geſagt: Greiſer

Thor, für Dich blühen wir nicht und die welke Hand eines

armen, gelähmten Mannes hat keine Blumen der Liebe

mehr zu bieten. Das wäre nicht Sühne für alte Schuld,
das hieße eine neue begehen — es wäre kein Geſchenk —
ſondern die Bitte um ein Almoſen!“
Geſenkten Hauptes hatte Wilhelmine den Worten des
Freundes gelauſcht, jetzt, da er ſchwieg, ſagte ſie ſtockend
und tief bewegt: ö ö
„Wenn das Geſchenk, welches Sie jener theuren Perſon
geben wollten, nichts war, als die Zahlung einer alten
Schuld — dann, mein Freund, war ſein Werth nur ein
geringer in meinen Augen, und diejenige, der Sie es zu
bieten im Begriff waren, hätte Ihnen geſagt: Nur wenn
Deine Liebe ein freiwilliges Geſchenk iſt, unabhängig von
jeder anderen Empfindung, dieſelbe möge noch ſo edlen Be-

weggründen entſpringen — dann kann ich mich derſelben

freuen, dann iſt ſie es werth, daß ich den ganzen Reich-
thum der meinigen dafür gebe!“
„Wilhelmine, höre ich recht, verſtehe ich Dich recht?“
fragte Wilibald, und in ſeinen getrübten Augen zuckte ein

warmer Strahl leuchtend auf, bringſt Du kein Opfer, wenn
Du immer um mich, wenn Du das Weib eines gelähmten,

kranken Mannes ſein willſt?“
Sie faßte ſeine heiße, zitternde Hand und ließ langſam
ihr blondes Haupt an ſeine Schulter gleiten — zu ant-
worten vermochte ſie nicht.
Er drückte einen Kuß auf ihre Stirn, doch ein Seufzer
hob dabei ſeine Bruſt und traurig ſagte er, ihr die Roſe
reichend: ö ö
„Möge ſie nicht zur Paſſionsblume für Dich werden
und mögeſt Du nicht zu ſpät einſehen, daß der Liebe Blühen
der eiſige Reif des Alters und der Krankheit zerſtört!“
Da erhob ſie das Haupt, aus ihren Augen ſtrahlte
frohe Zuverſicht und voll Innigkeit ſagte ſie: „Nein, Wili-
bald, die Liebe, welche ich meine, und die ich für Dich im
Herzen trage, ſie wird weder der kalte Hauch des Alters
noch Trübſal zerſtören — ſie iſt ewig und erſt ſpät habe

ich ſie erkennen und üben gelernt.

„Auch ich wähnte, daß ich ohne Fehl und Makel ſei,

daß ich recht thue und rechtſchaffen handle, weil ich nicht
offenes Unrecht beging, noch in Sünden lebte. ö

„und doch verſündigte ich mich täglich und ſtündlich an

dem oberſteu Gebot unſeres erhabenen Vorbildes; denn ich

hatte der Liebe nicht und mein Herz glich dem tönenden
 
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