V. DIE ANTIQUARISCHEN WERKE ZU STATUEN UND PORTRÄTS
Die drei bekanntesten Plastiken der Antike - die
Laokoongruppe, der Apoll und der Torso vom
Belvedere - wurden sämtlich im 15. Jahrhundert
bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts entdeckt.1 Der
Torso war schon in der ersten Hälfte des 15.
Jahrhunderts bekannt, er wird zum ersten Mal von
Cyriacus von Ancona, der sich von 1432 bis 1434
in Rom aufhielt, erwähnt.2 Dieser schreibt nichts
über den Zustand der Figur und die Art ihrer
Aufstellung, sondern zitiert lediglich die Inschrift
auf dem Felssitz: »Apollonios, der Sohn des
Nestor, aus Athen hat es gemacht«. Da der
Bildhauer Apollonios in der antiken Literatur
nicht genannt wird, unterblieb eine genaue
Identifikation des Torso.3 Er wurde - aufgrund des
Restes eines vermeintlichen Löwenfelles - allge-
mein als »Herakles« bezeichnet4 und befand sich
im Palast des Kardinals Prospero Colonna auf dem
Monte Cavallo. Ende des 15. Jahrhunderts war er
im Besitz des Bildhauers und Antikensammlers
Andrea Bregno, der 1503 starb.5 In wessen Besitz
der Torso anschließend gelangte, ist nicht bekannt.
Er muß aber an einem leicht zugänglichen Ort ge-
standen haben, denn nur so läßt sich der große
Einfluß erklären, den er auf das Werk vieler
Künstler wie beispielsweise Raphael und
Michelangelo gehabt hat. Der Torso muß dann un-
ter Papst Clemens VII. (1523-1534) oder späte-
stens zu Beginn des Pontifikats Paul III.
(1534-1549) in die Vatikanischen Sammlungen ge-
langt sein.6 Die Figur war im Cortile delle Statue,
dem Statuenhof des Belvedere, aufgestellt und ein
vielbesuchtes Studienobjekt von Humanisten und
Künstlern der Zeit.
Anfang des 16. Jahrhunderts kam es zu ver-
mehrten Ausgrabungen in Rom, die weitere an-
tike Statuen und Büsten ans Licht brachten. Die
erste bedeutende, scheinbar originale, klassisch
griechische Statue, die zwischen 1489 und 1493
entdeckt wurde, war der Apoll vom Belvedere.7
Über Fund,8 Erwerbung und erste Aufstellung ist
nichts bekannt.9 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts
gelangte er in den Besitz des Kardinals Giuliano
della Rovere, des späteren Papstes Julius II., der
ihn zuerst in seinem Garten bei San Pietro in
Vincoli aufstellte.10 Noch stärkeres Aufsehen er-
regte die Entdeckung der Laokoongruppe 1506 in
den Trajansthermen auf dem Esquilin.11 Die
Resonanz auf den Fund war bei Humanisten,
Künstlern und Antiquaren vor allem deshalb so
groß, weil man hier zum ersten Mal ein Werk be-
saß, das nicht nur von Plinius’ Naturalis Historia
(NH 36,37) erwähnt und den rhodischen
Bildhauern Hagesandros, Polydoros und
Athanodoros zugeschrieben, sondern von ihm
gerühmt wurde, es sei »allen anderen Werken aus
Malerei und Skulptur vorzuziehen«.12 Hiermit
hatte man endlich, durch die Autorität eines anti-
ken Textes beglaubigt, eines der langersehnten
Meisterwerke antiker Kunst vor Augen. Gleich
nach der Auffindung hatte Papst Julius II.
(1503-1513) die Laokoongruppe erworben und in
die Villa des Belvedere bringen lassen. Ihr Ruhm
wirkte sich auch auf die übrigen Stücke der
Sammlung aus und bestimmte deren Rang auf
höchstem Niveau. Es waren wenige aber erlesene
Stücke, die in der klaren, architektonisch fest ge-
gliederten Ordnung des Belvedere-Hofes darge-
boten wurden.13 1512 ließ Julius II. den seit lan-
gem in seinem Besitz befindlichen Apoll (vom
Belvedere) dort aufstellen.14 Die Sammlung im
Cortile delle Statue des Belvedere zog durch die
hohe Qualität der Statuen - zusammen mit dem
ehrgeizigen Ausstattungsprogramm des Gründers
- die Aufmerksamkeit der Rombesucher auf sich:
Julius II. verfolgte nämlich ein Programm, das sich
an der Äneis Vergils (I, 267-268) orientierte. So
stellte die Laokoongruppe den gleichnamigen tro-
janischen Priester dar, der mit seinen beiden
Söhnen auf dem Altar, auf dem er gerade sein
Opfer dargebracht hat, von zwei Seeschlangen
getötet wird. Der Opfernde wird selbst zum
Opfer. Sein Ende und die Zerstörung Trojas wa-
ren der Preis für die Geburt Roms, der Stadt, die
von den Nachkommen des trojanischen Prinzen
Äneas, Romulus und Remus, gegründet werden
sollte. Diese in der Antike offenkundige Botschaft
verstand auch Papst Julius II., der mit seinem
Namen auf Julius Cäsar (I, 286) und auf die
Kaiserfamilie der Julier anspielte. Diese führte sich
selbst auf den mythischen Ahnen lulus, einen Sohn
des Äneas, zurück. Der Papst präsentierte sich so-
Werke zu Statuen und Porträts 95
Die drei bekanntesten Plastiken der Antike - die
Laokoongruppe, der Apoll und der Torso vom
Belvedere - wurden sämtlich im 15. Jahrhundert
bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts entdeckt.1 Der
Torso war schon in der ersten Hälfte des 15.
Jahrhunderts bekannt, er wird zum ersten Mal von
Cyriacus von Ancona, der sich von 1432 bis 1434
in Rom aufhielt, erwähnt.2 Dieser schreibt nichts
über den Zustand der Figur und die Art ihrer
Aufstellung, sondern zitiert lediglich die Inschrift
auf dem Felssitz: »Apollonios, der Sohn des
Nestor, aus Athen hat es gemacht«. Da der
Bildhauer Apollonios in der antiken Literatur
nicht genannt wird, unterblieb eine genaue
Identifikation des Torso.3 Er wurde - aufgrund des
Restes eines vermeintlichen Löwenfelles - allge-
mein als »Herakles« bezeichnet4 und befand sich
im Palast des Kardinals Prospero Colonna auf dem
Monte Cavallo. Ende des 15. Jahrhunderts war er
im Besitz des Bildhauers und Antikensammlers
Andrea Bregno, der 1503 starb.5 In wessen Besitz
der Torso anschließend gelangte, ist nicht bekannt.
Er muß aber an einem leicht zugänglichen Ort ge-
standen haben, denn nur so läßt sich der große
Einfluß erklären, den er auf das Werk vieler
Künstler wie beispielsweise Raphael und
Michelangelo gehabt hat. Der Torso muß dann un-
ter Papst Clemens VII. (1523-1534) oder späte-
stens zu Beginn des Pontifikats Paul III.
(1534-1549) in die Vatikanischen Sammlungen ge-
langt sein.6 Die Figur war im Cortile delle Statue,
dem Statuenhof des Belvedere, aufgestellt und ein
vielbesuchtes Studienobjekt von Humanisten und
Künstlern der Zeit.
Anfang des 16. Jahrhunderts kam es zu ver-
mehrten Ausgrabungen in Rom, die weitere an-
tike Statuen und Büsten ans Licht brachten. Die
erste bedeutende, scheinbar originale, klassisch
griechische Statue, die zwischen 1489 und 1493
entdeckt wurde, war der Apoll vom Belvedere.7
Über Fund,8 Erwerbung und erste Aufstellung ist
nichts bekannt.9 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts
gelangte er in den Besitz des Kardinals Giuliano
della Rovere, des späteren Papstes Julius II., der
ihn zuerst in seinem Garten bei San Pietro in
Vincoli aufstellte.10 Noch stärkeres Aufsehen er-
regte die Entdeckung der Laokoongruppe 1506 in
den Trajansthermen auf dem Esquilin.11 Die
Resonanz auf den Fund war bei Humanisten,
Künstlern und Antiquaren vor allem deshalb so
groß, weil man hier zum ersten Mal ein Werk be-
saß, das nicht nur von Plinius’ Naturalis Historia
(NH 36,37) erwähnt und den rhodischen
Bildhauern Hagesandros, Polydoros und
Athanodoros zugeschrieben, sondern von ihm
gerühmt wurde, es sei »allen anderen Werken aus
Malerei und Skulptur vorzuziehen«.12 Hiermit
hatte man endlich, durch die Autorität eines anti-
ken Textes beglaubigt, eines der langersehnten
Meisterwerke antiker Kunst vor Augen. Gleich
nach der Auffindung hatte Papst Julius II.
(1503-1513) die Laokoongruppe erworben und in
die Villa des Belvedere bringen lassen. Ihr Ruhm
wirkte sich auch auf die übrigen Stücke der
Sammlung aus und bestimmte deren Rang auf
höchstem Niveau. Es waren wenige aber erlesene
Stücke, die in der klaren, architektonisch fest ge-
gliederten Ordnung des Belvedere-Hofes darge-
boten wurden.13 1512 ließ Julius II. den seit lan-
gem in seinem Besitz befindlichen Apoll (vom
Belvedere) dort aufstellen.14 Die Sammlung im
Cortile delle Statue des Belvedere zog durch die
hohe Qualität der Statuen - zusammen mit dem
ehrgeizigen Ausstattungsprogramm des Gründers
- die Aufmerksamkeit der Rombesucher auf sich:
Julius II. verfolgte nämlich ein Programm, das sich
an der Äneis Vergils (I, 267-268) orientierte. So
stellte die Laokoongruppe den gleichnamigen tro-
janischen Priester dar, der mit seinen beiden
Söhnen auf dem Altar, auf dem er gerade sein
Opfer dargebracht hat, von zwei Seeschlangen
getötet wird. Der Opfernde wird selbst zum
Opfer. Sein Ende und die Zerstörung Trojas wa-
ren der Preis für die Geburt Roms, der Stadt, die
von den Nachkommen des trojanischen Prinzen
Äneas, Romulus und Remus, gegründet werden
sollte. Diese in der Antike offenkundige Botschaft
verstand auch Papst Julius II., der mit seinem
Namen auf Julius Cäsar (I, 286) und auf die
Kaiserfamilie der Julier anspielte. Diese führte sich
selbst auf den mythischen Ahnen lulus, einen Sohn
des Äneas, zurück. Der Papst präsentierte sich so-
Werke zu Statuen und Porträts 95