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Heidelberger Familienblätter — 1864

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 38 (2. März - 30. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43185#0142

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— 138 —

Walburg, indem er ſein Arbeitspult erſchloß. Sie wollen der armen Frau
eins Unterſtützung vermitteln — hier iſt Geld.
„Nein, lieber Walburg. Hören Sie mich an. Sie können ein gutes
Werk verrichten, ohne die Hand nach der Caſſe auszuſtrecken. Die Krankheit
der Wittwe beſtand in der Sehnſucht nach ihrem einzigen Sohne, der Commis
in einem Hauſe zu Newyork iſt. Die Hälfte ſeines Gehaltes hat er regel-
mäßig ſeiner Mutter zufließen laſſen. Es iſt dies wohl ein Beweis von
der Herzensgüte des jungen Mannes, der ſich nicht verkennen läßt.“
„Ohne Frage!“ rief Walburg.
„Im vorigen Herbſte fallirte der Chef Ludwig Siebold's.“
„Die Firma?“
„Nortſen und Compagnie.“
„Ganz recht. Herr Nortſen hat einen echt amerikaniſchen Bankerott
gemacht, bei dem auch ich um eine kleine Summe gekommen bin.“
„Sie kennen die Firma — deſto beſſer. Der Commis, der nichts
erſpart hatte, weil er ſeine Mutter unterſtützt, konnte nicht ſofort einen
paſſenden Platz finden und gerieth in Noth. Auf meine Veranlaſſung
brachte ihn ein hieſiger Schiffscapitän nach Europa, denn ich wollte die
Quelle der Krankheit verſtopfen, an der die arme Wittwe leidet. Der
Commis iſt angekommen; ich habe ihn kennen gelernt und muß geſtehen,
daß er auf mich den vortheilhafteſten Eindruck gemacht hat. Er ſpricht
und ſchreibt vollkommen Engliſch und Franzöſiſch und beſitzt ein gewinnendes
Aeußere. Sie wiſſen, daß es in unſerer Stadt der jungen Kaufleute mehr
gibt, als Stellen vorhanden ſind, und da es nun gewiſſermaßen meine Pflicht
iſt, den auf meine Veranlaſſung angekommenen Commis unterzubringen, ſo
wende ich mich an Sie. Der Arbeit iſt glücklicherweiſe ſo viel vorhanden,
daß Sie meinen Protege täglich placiren können. Ich bitte Sie darum
als Freund und als Arzt — Letzterer beſiehlt es ſogar, damit Sie ſich
nicht völlig aufreiben. Für die Zuverläſſigkeit und Brauchbarkeit des jungen
Siebold verbürge ich mich. Das iſt mein Geſchäft. Nun antworten Sie.“
Walburg reichte mit einem ſchmerzlichen Lächeln dem Arzte die Hand.
„Doctor“, ſagte er, „Sie kann und darf ich nicht abweiſen. Ihr
Protege iſt von dieſem Augenblicke an mein Commis.“ ö
„Sie haben ihn ja noch nicht geſehen.“
„Deſſen bedarf es nicht. Ihre Empfehlung genügt, und damit iſt das
Geſchäft abgemacht, über das Salär werde ich mich mit Siebold einigen.“
„Dieſen Nachmittag führe ich Ihnen den neuen Commis zu.“
„Ich erwarte Sie, Doctor, hier in meinem Cabinete. Haben Sie
meine Frau geſehen?“ fragte Walburg ſo unbefangen, als es ihm möglich war.
„Ihre Frau und Ihren Sohn.“
„Nun?“
„Beide bedürfen des Arztes nicht. Doris iſt eine reizende junge
Mutter, und Ihr Karl iſt ein Engel. Sie ſind zu beneiden, Walburg —
aber warum arbeiten Sie, als ob Ihnen das liebe Brod fehlte? Erhalten
Sie ſich dem Glücke, das Ihnen der Himmel in Gattin und Kind beſchieden
hat. Aber was iſt das? Warum zittern Sie?“

(Fortſetzung folgt.)
 
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