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Heidelberger Familienblätter — 1864

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No. 77 - No. 90 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43185#0361

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Heidelberger raniliendliter.

VM 90. Soms, den . du ö 1864.

Mit in v6 Grab.

— von Friedrich Friedrich.
Gortſebung.

Die Tochter eines reichen Gutsbeſtzers, Namens Heinotd, der ſich aus
der Stellung eines unbemittelten Verwalters bis zum Beſitzer eines großen
und ſchoͤnen Gutes emporgeſchwungen, hatte ſie ſchon als Kind ihre Mutter
verloren. Ihr Vater hatte ſich um ihre Erziehung wenig bekümmert, weil
ihm ſowohl die Zeit als die rechte Einſicht dazu gemangelt hatte. Ein
Jahr lang ward ſie von ihm in die Stadt in eine Penſion geſchickt. Damit
glaubte er Alles gethan zu haben, worauf eine gute Erziehung Anſpruch
machen könne.
Kaum fünfzehn Jahre alt war ſie in das Haus ihres Vaters zurück-
gekehrt und nun ſogleich an die Spitze der großen Wirthſchaft getreten.
Sie hatte dieſelbe ſofort mit großem Scharfblicke und mit Feſtigkeit geführt,
zugleich waren dadurch aber auch die Anlagen ihres Charakters, eine rück-
ſichtsloſe Härte und Berechnung, zur größten Entwicklung gekommen.
Ihrem Vater war dies faſt nie aufgefallen, da ſie ſich den Schein
eines weichen und weiblichen Gemüthes zu geben ſuchte, durch den ſie ein
unbefangenes und weniger ſcharfes Auge leicht zu täuſchen vermochte.
Kaum zwanzig Jahre alt, hatte ſie auch ihren Vater verloren uud
nun die Leitung des großen Gutes von nur einem Verwalter unterſtützt
ſelbſt in die Hand genommen.
Die Landwirthe mußten ihrer Leitung vollkommene Anerkennung zollen,
dennoch widerſtand die Art und Weiſe, mit der ſie dieſe Leitung handhabte,
dem Gefühle der meiſten Männer, welche auf die jugendliche und alleinige
Beſitzerin des ſchönen Gutes ein Auge geworfen hatten. Sie ſelbſt war in
der Wahl ihres zukünftigen Gatten auch ſchwierig, und ſo waren Jahre
verſchwunden, ohne daß ſie ſich vermählt hatte.
Endlich hatte ſie ihre Hand verſchenkt und der Mann, der ſie auf
dieſem Spazierritte begleitete, war ihr Verlobter, der Rittmeiſter Heinrich
von Pleß. Freilich war ſie im Stillen ſchon einmal verlobt geweſen und
ihr früherer Verlobter war derſelbe Mann, der ihnen in dem Hohlwege
entgegen getreten war — der Förſter Grunert. ö
Obſchon die Verlobung noch nicht öffentlich bekannt gemacht war,
wußten doch bereits Viels darum, allein von Allen vermochte kein Einziger
zu begreifen, weßhalb die junge und reiche Gutsbeſitzerin gerade dieſem
Manne ihre Hand geſchenkt hatte. Der Rittmeiſter beſaß weder körperliche
noch geiſtige Vorzüge. Er hatte Kſch den äußerlichen Tact der vornehmeren
Geſellſchaft ſich angeeignet und erſchien deßhalb in ſeinem Auftreten ſicher
und leicht, allein nur ſo lange, als ihm kein ernſtlicher Widerſtand ent-
 
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